Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
Vom Netzwerk:
goldenen Nägel legen, deretwegen er verflucht worden war. Er hatte sie nämlich einst, um sie zu verspielen, aus dem Sarge seiner Ahnfrau gezogen. Wer aber diese drei Nägel besaß, der hatte damit drei Wünsche frei. Wenn er einen Nagel fortwarf und dabei einen Wunsch aussprach, so geschah sofort, was er wollte. Und beim Fortwerfen des dritten Nagels wäre dann der Geist erlöst gewesen.
     
    Der Bahnwärter an dem einsamen Häuschen war ein alter Mann. In die neuen elektrischen Apparate an den Blockstationen hatte er sich nicht mehr finden können. So hatte man ihm hier einen Posten gegeben, wo er nicht viel anders zu tun hatte, als regelmäßig seine Strecke abzugehen.
    Jetzt stand er mit seiner zusammengerollen Signalfahne im Arm neben dem Wärterhäuschen, als der Eilzug vorüberbrauste. Sein Blick war mit ängstlicher Spannung auf jedes Fenster der Wagenreihe gerichtet, ob nicht eines sich öffnete, ob nicht ein Tuch herauswinkte – es kam kein Zeichen. Und nun folgte sein Auge dem letzten Wagen, dessen Rückseite im Enteilen sich rasch zusammenzog, bis er im nächsten Einschnitt entschwand.
    Lange noch stand der Wärter in der Ferne starrend – nur zuweilen hob sich seine Brust stärker unter einem Seufzer –
    Wie viel Hunderte von Menschen fliegen hier jeden Tag an ihm vorüber! Am Morgen haben sie die Sonne über dem Meere aufgehen sehen, am Abend wird sie ihnen von Schneegipfeln widerleuchten, vor wenigen Stunden rauschte um sie der Lärm der Großstadt, – er aber stand unmittelbar neben dem Weltverkehr einsam und abgeschnitten von der Lebenswelle. Nichts drang zu ihm als das eintönige Signal der Glocke und das Gerassel der Räder, und sie brachten ihm keine Nachricht. Er sah nach der Uhr. Längst mußte der Zug die nächste Station erreicht haben. Ob er einen Brief mitgebracht hatte? Über drei Stunden hatte der Bote von dort bis zu ihm zu gehen, und heut’ am Sonntag ging er überhaupt nicht.
    „Paul“, rief es aus der offnen Tür der Hütte.
    Er trat ein. Auf dem alten Lehnstuhl an dem kleinen Fenster saß eine müde Frau mit grauem Haar und vergrämten Zügen. Sie blätterte in einem Kalender.
    „War er nicht darin?“ fragte sie.
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    „Er hätte gewiß herausgewinkt“, sagte sie. „Ich ängstige mich Tag und Nacht. Es sind schon über vier Wochen, daß der Brief kam. Gestern waren’s vier Wochen, und in vier Wochen wollt’ er bei uns sein. Mit Frau und Kind. Das liebe Würmchen – ach! Und alle Not hat ein Ende!“
    „Ich glaub’s nicht, ich glaub’s nicht!“ sagte der Mann und setzte sich schwer auf die Bank am Ofen. „Es wäre zu viel Glück. Ich kann deinen Traum nicht los werden von dem verunglückten Zuge.“
    „O Gott, o Gott, noch im letzten Augenblick, wenn wir ihn da verlieren sollten, unsern Otto! Zwölf Jahre ist er fort, zehn Jahre haben wir nichts von ihm gehört, bis jetzt vor vier Wochen. Es geht ihm gut, er kommt wieder, und jetzt sollten wir ihn verlieren? ’s ist wahr, es droht ihm ein Unglück, – aber man kann es abwenden. Du weißt meinen andern Traum, den vom grauen Zwerge. Das bedeutet jedesmal etwas Gutes, wenn ich den träume. Und du solltest es doch tun!“
    „Es ist ja Unsinn, laß mich in Ruh’ damit.“
    „Und wenn’s Unsinn wäre – schaden kann es doch nichts. Heut’ ist der Achte nach Trinitartis, es ist Mondschein, Vollmond, heute könnt’ doch sein mit dem Schrobeck. Und wenn’s nicht ist, so war’s ein Spaziergang.“
    „’s ist eine Versuchung.“
    „Du solltest es doch riskieren. Wenn ich nur laufen könnte, ich tät’s gleich. Aber mit dem Hinkefuß – ich komm’ nicht mehr den Berg ’nauf.“
    Sie schwieg. Dann ging sie wieder an: „Daß es gerad’ so zusammentrifft, der Tag und der Mondschein, und gerad’ mit unserm höchsten Wunsche! Ich kann nicht davon los. Wenn du die goldnen Nägel bekommst, dann kannst du gleich wünschen, daß der Otto gesund hier ist. Dann kann ihm nichts mehr geschehen. Tu’s zu meiner Beruhigung!“
    „Alte, du weißt, ich glaub’ nicht dran, darum nützt es auch nichts. Ich tat’ mich nur schämen vor mir selbst.“
    „Tu mir’s zu Liebe, ich glaub’ dran.“
    „Wenn der Traum nicht wäre, ich dächt’ überhaupt nicht dran. Deine Träume freilich, damit hat’s etwas an sich, das ist schon wahr. Aber ich kann auch nicht fort von der Strecke.“
    „Heute kannst du schon. Der Güterzug fällt heute aus, und der Kurierzug kommt erst um zwei. Um eins schon

Weitere Kostenlose Bücher