Traumkristalle
Lebens von unberechenbarem Einfluß wurde.
„Ich schließe mit der Erwähnung dieses Ereignisses meine heutige Vorlesung“, endete Strudel-Prudel, „bald werden wir sehen, wie zu neuen und neuen Entdeckungen fortschreitend die Menschheit ihre heutige Höhe erreichte. Entdeckung auf Entdeckung folgte; der Psychokinet, das Zerebratin, die Gold-Wasserstoff-Verbindungen, die Benutzung der Zirkular-Weltäther-Ströme, die Integration der Weltformel – in zwei kurze Jahrhunderte drängen sich die Erfolge des Geistes, welche uns mit Staunen und Ehrfurcht erfüllen.“
Strudel erhob sich und verließ die Klasse. Bald flogen die Schüler nach allen Seiten auseinander, ihren Wohnungen zu.
Strudel aber, dessen Antlitz noch eben von Begeisterung strahlte, schien jetzt von Ermattung ergriffen zu werden, die seinen Zügen das Gepräge eigentümlicher Traurigkeit verlieh. Er trat in seine Privatwohnung und lehnte seinen Kopf an den Phonograph, ein Instrument, das seine ausgesprochenen Worte sofort niederschrieb.
Wir nehmen das Blatt und lesen – zu unserer Verwunderung in deutscher Sprache, wenn auch in stenografischen Zeichen: „Hinauf, hinauf! Euch zieht es empor, und glanzvoll sei eure Bahn, ihr Kinder der Zeit und des Lichtes! Glück auf die Reise in sonnige Höhen, du wackere Jugend! – Ich aber, ein alter, vergessener Mann, einsam steh’ ich in rastloser Zeit, verlassen sind meine Wege, rückwärts gewendet mein Schritt. Und doch, wie kann ich mit Klarheit schauen in verronnene Zeit? Ach, das Ziel meines Lebens war es, zu erforschen das Gesetz der Geschichte; herrlich erhebt sich das Gestirn der Menschheit aufs neue, aber der Stern meines Geschlechtes neigt sich, und bald verschwindet er am Horizonte. Oh, daß keiner heraussteigt aus der Gruft der Jahrtausende, mir Rede zu stehen, mir zu erzählen – wieder die alte Klage! Nein! Fort damit!“
Rasch erhob er sich und nahm eine Dosis Zerebratin. Wieder spiegelte sich der Ausdruck heiterer Ruhe auf seinen Zügen.
„Euch will ich besuchen, ihr ältesten Vorfahren“, sagte er.
Und er rüstete sich zum Ausgehen.
III UNTERM MEERESSPIEGEL. DIE GEHIRNORGEL. DER LETZTE BOTANIKER
In den „Gärten des Okeanos“ drängte sich eine lebenslustige Menge. Hell strahlten die großen Beleuchtungsapparate – Wassersonnen genannt – in das Gewirr von Tischen, Stühlen, Büfetts und Belustigungsstätten aller Art, die hier, mitten im Atlantischen Ozean, in einer Tiefe von 2300 Metern unter dem Meeresspiegel aufgestellt waren und allabendlich den Erholungsort der erdenstaubmüden Europäer bildeten.
Aus einem der submarinen Personenzüge, welche alle fünf Minuten hier eintrafen, stiegen zwei Herren in elegantem Taucherkostüm. Aber sie wandten sich nicht mit dem Strome der Ausgestiegenen nach rechts, wo die Affichen der Vergnügungslokale unglaubliche Abendunterhaltungen versprachen. Achtlos schritten sie am großen Psychäongebäude vorbei; dort saßen in langen Reihen die „Zufühler“ mit wunderlich gestalteten Helmen auf dem Kopfe, von denen zahllose Drähte nach dem Zentrum der großen Gehirnorgel liefen, auf welcher eine der berühmtesten Stimmungskünstlerinnen der Gegenwart, Lyrika, ihre Vorstellung gab.
Um diesen Vorgang im Psychäon begreiflich zu machen, müssen wir in der Geschichte der Ästhetik und der Entwicklung der Künste um ein paar Jahrtausende zurückgreifen.
Schon über viertausend Jahre waren vergangen, seitdem die Entwicklung der Kunst ihren Höhepunkt erreicht hatte, aber noch waren Phidias und seine Schüler unübertroffen. Zwar hatten Malerei und Dichtkunst im zweiten Jahrtausend nach Christus einen vorzüglichen Aufschwung genommen; aber sie waren vermöge des Stoffes, mit welchem sie arbeiteten, zu sehr gebunden an das Reale, als daß sie den wahren Beruf der Kunst, die unumschränkte Herrschaft im Ideal, hätten zur Genüge erfüllen können. Schon seit Reimert-Obertons Dichtungen (man denke an „Die Zerebrer oder Der gezähmte Lichtnebel“ u.a.) wurde ein tieferes Verständnis für die Kunstform der Poesie immer seltener, und mehr und mehr wandte man sich der Musik zu als der unmittelbaren und wahren Dolmetscherin der Gefühle.
Die krankhaften Ausschreitungen des neunzehnten Jahrhunderts hatten noch dazu beigetragen, die wahren Grenzen der Musik kennenzulernen. Das eigentliche Entwicklungsgesetz für die Geschichte der Künste wurde ermittelt, und seit Theoros Spürenbergs unsterblichen Untersuchungen „Über die
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