Traumkristalle
Embryologie des ästhetischen Ideals“ wußte man, daß der Fortschritt der Künste abhängig ist von dem Fortschritt, welchen die Ausbildung des „Stimmungssinnes“ in der Menschheit macht. Vom Altertum aus, wo das Verständnis für Stimmungen noch ein sehr geringes war, entwickelte sich diese Neigung, den Stimmungen allein sich zu überlassen, mehr und mehr, je mehr der immer zunehmende Gehalt des Lebens an realem Genüsse und praktischer Arbeit einen jeden zwang, ein Gegengewicht im Ideal zu suchen. So mußte die Befriedigung des Gemüts notwendig gefunden werden in der Hingabe an die Stimmung, und damit ist das Ziel der Kunst ausgesprochen. Sie muß die Stimmungen des Menschen in jeder Weise beherrschen, sie aufregen und besänftigen, je nachdem es die Umstände verlangen, kurz, den dunklen Bewußtseinsinhalt der Seele bestimmen, der frei von klaren Erinnerungsbildern und scharfen Sinneseindrücken nur eine Ungewisse Summe von Strebungen enthält, die wir eben unsern Gemütszustand nennen.
Die Mittel, deren die Kunst hierzu sich bedient, sind an sich gleichgültig, aber der Zweck der Kunst wird am reinsten und herrlichsten erreicht werden, wenn die Erregung der Gemütsstimmungen eine möglichst unmittelbare ist. Daher steht dem Ziele der Kunst die Musik schon sehr nahe, weil bei ihr die Schwingungen des Schalles unmittelbar auf die Gehörnerven und dadurch auf das Gehirn wirken, ohne der Vermittlung derjenigen Gehirnpartien, deren Arbeit uns als „Denken“ zum Bewußtsein kommt, irgendwie zu bedürfen. Noch weiter allerdings war diese unmittelbare Einwirkung durch die Inanspruchnahme des Geruchssinnes getrieben worden, wie sie die Familien der Riechmanns und Ozodes versucht hatten.
Auch war in der Mitte des dritten Jahrtausends die Ododik (Geruchskunst) zu hoher Blüte gelangt. Aber ihrem weiteren Fortschritt stand das Gesetz der Entwicklung der Gattung entgegen. Die kurze Anstrengung einiger Generationen war nicht imstande, die seit den Zeiten des Diluvialmenschen eingetretene Verkümmerung des Geruchssinnes dauernd aufzuhalten. Seitdem Aromasias unglückliches Ende die Vererbung einer der feingebildetsten Nasen unmöglich gemacht hatte, geriet die Ododik bald wieder in Verfall.
Mit dem Eintritt der arktischen Rasse in die Geschichte und dem allgemeinen Stillstand der Kulturentwicklung in der ersten Hälfte des vierten Jahrtausends war auch eine vorübergehende Ruhezeit im Fortschritt der Künste verbunden. Aber zu neuen und unerwarteten Bahnen hob sich der Flug der Gefühle nach der vollständigen Herleitung der Theorie der Gehirnfunktionen.
Natürlich war die Frage nach dem Wesen des Bewußtseins nicht anders gelöst, als man die nach dem Wesen der Materie lösen konnte, das heißt bis zu den Grenzen, welche durch die Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens gezogen sind. Aber man wußte doch, daß der dunkle, unergründliche Rest des Daseins nur in zwei klaren Formen einer menschlichen Intelligenz zum Bewußtsein kommen kann, als Empfindung direkt und unmittelbar in unserem Leben, außerdem noch durch unsere Sinne vermittelt als Bewegung in Zeit und Raum. Letztere Auffassungsart läßt eine Bestimmung nach Zahl und Maß und so eine genaue Theorie zu, welche die Veränderung der Erscheinungen auf Bewegungen der Atome zurückführt. Nun konnte man die Bewegung der materiellen Gehirnmolekel berechnen, sie folgten den erforschten Gesetzen der allgemeinen Mechanik. Mit jedem dieser berechenbaren Bewegungsvorgänge aber ist ein bestimmter Empfindungsvorgang verknüpft – vielleicht richtiger identisch –, und es handelte sich nur darum, die Bewegung der physikalischen Atome nach ihrer inneren Seite als Empfindung zu deuten. Aber nachdem einmal der Aberglaube des Materialismus, der in dem Bewußtsein ein Produkt oder eine Funktion der Gehirnmolekel sah, gründlich abgeworfen war, fand sich hier leicht ein Weg. Die Theorie der Gehirnfunktionen löste diese Aufgabe durch den Parallelismus von Bewegung und Empfindung, indem sie empirisch die Veränderungen der letzteren aus denen der ersteren deutete. Wie uns unsere Sinne nur Zeichen und Abbilder für die Dinge, nicht diese selbst, geben, so gab auch die Mechanik der Gehirn- und Ganglien-Atome zwar nicht die Empfindung, diese ihre innere Form, selbst, aber sie gab ein treues Abbild derselben in ihrer eigenen Bewegung gemäß unserer Raum- und Zeitanschauung. Und wenn man nun einmal erst erkannt hatte: Diese Form der Bewegung (a) bedeutet diese Form der
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