Traumkristalle
mir eine Einspritzung. Dann wurde mein Kopf in den Apparat gesteckt. Die Spitze der Lampe, in der, von außen natürlich nicht sichtbar, das sehr helle Licht erzeugt wurde, berührte meinen Kopf von hinten zwischen den Haaren. Die Einstellung wurde so gemacht, daß der Brennpunkt der Strahlen im Gehirn in das Sehzentrum fiel. Der durch die Stirn heraustretende Lichtkegel ging dann noch durch eine Linse und wurde auf einem besonders präparierten Schirm aufgefangen.
,Stelle dir einen Kreis vor’, sagte Pausius zu mir. Ich tat es. Auf der Tafel erschien ein Kreis. Er wechselte die Farben, je nachdem ich ihn mir rot, blau oder gelb dachte. Dazwischen wogten aber zugleich allerlei undeutliche Figuren einher; nur der Kreis beherrschte sie bleibend, solange meine Aufmerksamkeit auf die Vorstellung eines Kreises gerichtet war. Nun dachte ich an die Figur einer 3, und sogleich erschien dieses Bild auf dem Schirm. Dann war die Wirkung verflogen, und ich zog meinen Kopf aus dem Apparat.
,Nun?’ brummte Onkel Pausius.
Ich saß ganz niedergeschmettert da und sagte zum Onkel: ‚Die Sache erscheint fast sinnlos – diese Figuren sind doch nicht als solche in meinem Gehirn; wie können wir sie hinausprojizieren?’
,Natürlich sind sie nicht darin’, erwiderte der Onkel lachend. ‚Aber wir sehen ja auch nicht hinein – da würden wir nur Zellfasern und Blutkörperchen sehen –, wir sehen ja hinaus. Lausche an einem Telefondraht, du hörst auch nichts, du mußt das Instrument daranbringen. Was geschieht denn, wenn wir einen Kreis sehen? Von außen kommen in bestimmter Weise angeordnete Lichtstrahlen, bestimmte Nervenzellen pflanzen ihre eigenartigen Schwingungen bis zum Zentrum fort, und solange diese bestimmte Form des Schwingungszustandes der Nervensubstanz dauert, haben wir die Empfindung eines Kreises. Nun kehren wir bei unserm Versuch die Sache um. Wir stellen uns einen Kreis vor. Jetzt findet dieselbe Veränderung der Nervensubstanz vom Zentralorgan aus statt, die vorher beim Sehen vom Auge aus stattfand. Der so veränderte Schwingungszustand der Zellen wird vom Lichtbüschel unserer Lampe getroffen. Dieses Licht wird dadurch in seiner Schwingungsperiode verändert, und dieselben Raumbeziehungen pflanzen sich in den Lichtwellen bis zum Schirm fort. Das Licht stellt gewissermaßen eine Telefonplatte, die Gehirnzellen das erregende Magnetfeld vor. So erkläre ich mir den Vorgang.’
Ich saß in mich versunken.
,Na, lassen wir’s sein’, sagte der Onkel. ‚Da kommt ja auch dein liebes Frauchen. Nun, wo warst du denn so lange, sozusagen? Hast du die Schlüssel gefunden?’
Meine Frau schüttelte wehmütig den Kopf.
,Weißt nicht, wo du sie hingelegt hast?’ sagte der Onkel launig., Werde dir helfen. Setz dich einmal her. Wir wollen jetzt den Ort sehen, wo du sie zuletzt hingelegt hast. Vielleicht erkennen wir ihn dort auf dem Schirm.’
,Was soll das?’ sagte meine Frau.
,Ein bißchen Gedankenlesen, weiter nichts. Ein bißchen in das Köpfchen hineingucken, was da alles durcheinanderwirbelt.’
Nun, kurz und gut, wir erklärten meiner Frau, um was es sich handle. Erst sträubte sie sich ein wenig; dann wurde sie doch selbst neugierig, als der Onkel ihr die Prozedur vorgemacht hatte –“
Mein Freund unterbrach seine Erzählung. Er riß wieder an seinem Bart und rannte durchs Zimmer, bis er mit unsicherem Blick vor mir stehenblieb.
„Ja, jetzt“, begann er wieder, „wie soll ich sagen – zu dir kann ich ja offen sein, Konrad –“
Ich hatte das Gefühl, als wenn Arwed gegen mich verstimmt sei, obwohl ich keinen rechten Grund wußte, aber er machte ein so seltsames Gesicht, und da wurde mir etwas unbehaglich zumute. Sollte bei diesem Versuch irgend etwas –?
„Ich muß dir gestehen“, fuhr Arwed fort, „auf einmal überkam mich eine unheimliche Angst. Am liebsten hätte ich den Versuch nicht zugelassen, wenn ich mich nicht vor dem Onkel geniert hätte. Aber der Gedanke, ich solle jetzt plötzlich sehen, was sich meine Frau vorstellte in ihrem Innersten … sie hatte offenbar gar keine Bedenken, und ich habe ja auch nicht den geringsten Grund des Mißtrauens, das weißt du ja – und doch! So eine junge, hübsche Frau … kein Mensch kann doch wissen, was ihr heimlich im Kopf steckt. Ich fühlte mich ganz miserabel.“
Als Arwed dies sagte und wieder aufgeregt umherlief, ging es mir ganz ebenso. Am liebsten hätte ich weiter nichts gehört. Wer kann einer Frau ins Köpfchen sehen? Und wenn er’s
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