Traumkristalle
kann, so soll er’s hübsch bleibenlassen. Gewiß, ich fühlte mich ja ganz unschuldig, aber wenn ich jetzt in Pausius’ Apparat gesteckt hätte – ich sah im Augenblick diese allerliebsten, schelmischen Züge, ich sah die leuchtenden braunen Augen und das dunkle Haar an den Schläfen, ich sah Frau Arwed so deutlich vor mir, daß ihr Bild gewiß auf dem Schirm erschienen wäre. Mir wurde ebenso angst wie meinem Freunde, aber ich sagte möglichst kühl: „Na, was habt ihr denn nun gesehn?“
Arwed warf einen langen Blick auf mich. Dann begann er wieder: „Nun, Pausius forderte meine Frau auf, sich ihre Schlüssel recht deutlich vorzustellen, so wie sie sie in der Hand zu halten pflegte. Und wirklich, auf dem Schirm, über den wieder allerlei undeutliche Gestalten huschten, erschienen unter dem Einfluß ihrer Aufmerksamkeit die Schlüssel mit der haltenden Hand, und daneben –“
„Daneben – so sprich doch!“
„Deutlich der Kopf eines Mannes –“
„Welches Mannes?“
„Denke dir, was in mir vorging – vielmehr, es läßt sich nicht denken –, das unsinnigste Zeug schoß mir durch den Kopf –“
„Welches Mannes denn?“
„Das wirst du dir wohl selbst sagen. Ich zitterte vor Erregung, ich mußte ins Freie! Ich sprang auf, lief nach der Tür, schon war ich draußen, da hörte ich meine Frau mit ihrer hellen Stimme rufen: ‚Ah, jetzt weiß ich’s! Hinter Konrads Fotografie auf dem Wandbrett müssen sie liegen; als ich die Bilder abstaubte, habe ich sie dort aus der Hand gelegt.’
Und nun rannte ich nach Hause“, fuhr Arwed fort, „es ist ja nicht weit, die Treppen hinauf und hier hinein, und da – ich riß deine Fotografie vom Wandbrett herunter, und wahrhaftig, da lagen die Schlüssel! In drei Minuten war ich wieder mit dem Schlüsselbund zurück. Meine Frau wußte gar nicht, warum ich sie so stürmisch an mich zog.“
Arwed setzte sich nun an den Tisch und griff nach einer Zigarette. Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Ein Stein war mir vom Herzen gefallen, aber eine gewisse Verlegenheit konnte ich nicht verbergen.
„Da triumphierte wohl Onkel Pausius?“ fragte ich.
„Freilich, er schmunzelte, aber als ich die Brauchbarkeit seiner Erfindung herausstrich, sagte der Onkel weiter: ‚Das ist noch gar nichts, sozusagen. Wenn man etwas Übung hat, kann man noch ganz andere Dinge machen. Es kommt nur darauf an, daß man eine kräftige malerische Phantasie und die Fähigkeit starker Konzentration besitzt, so daß man die Aufmerksamkeit selbst auf seine bildhafte Vorstellung gefesselt halten kann, denn bei der geringsten Abweichung der Gedanken werden die Bilder gestört.’ Und nun setzte sich Pausius selbst wieder an den Apparat, indem er erklärte, er wolle uns jetzt einige Erinnerungen und dann einige Phantasien vorführen.
Nun entwickelten sich auf dem Schirm farbenprächtige Gemälde, deren Figuren sich lebendig bewegten, Szenen, die er im Theater gesehen, Bilder, die er selbst entworfen hatte, auch, was er im Augenblick gerade sich vorstellte –“
Ich faßte Freund Arwed an der Hand, ihn unterbrechend.
„Mensch“, rief ich, „bist du dir denn klar, was diese Erfindung bedeutet?“
„Natürlich – das wird sich nach der Veröffentlichung erst glänzend zeigen. Das Studium der Gehirnphysiologie, des Seelenlebens, der Psychologie, die ganze Medizin –“
„Ach was! Ich denke jetzt nicht an die Wissenschaft. Was Pausius entdeckt hat, das bedeutet die Kunst: die neue Kunst, die kommende Kunst – die absolute Malerei! Verstehst du nicht? Farben und Pinsel sind überflüssig, Übung und Handgeschicklichkeit sind nicht nötig. Die Phantasie des Künstlers erzeugt unmittelbar vor den staunenden Blicken des Beschauers bildhaft die innersten Erlebnisse des Genius. Überwunden durch die naturwissenschaftliche Technik ist jede Mühe der malerischen Technik – die Seele malt unmittelbar! Raffael braucht keine Hände mehr. Frei vom schweren Stoffe wird der Künstler. Das Ideal ist in das Leben selbst gesetzt, vielmehr der Mensch ist zu den Göttern erhöht – seine Anschauung ist Schaffenskraft!“ Begeistert sprang ich auf und drang in Arwed: „Und wann, wann veröffentlicht Pausius? Will er es denn wirklich? Will er selbst schreiben?“
„Er hat es versprochen. Bald, sogleich soll es geschehen. Näheres hat er meiner Frau gesagt, als ich fort war.“
„Wo ist denn überhaupt deine Frau? Soll man sie heute nicht mehr zu sehen bekommen?“
„Heute nicht mehr,
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