Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
Vom Netzwerk:
glückliche Redner hatte dann zugleich den Vorteil, daß ihm niemand entgegnete. Siebler sprach so erfolgreich, daß er selbst das Ende seiner eigenen Rede verschlief; etwas Ähnliches war früher nur einigen Schriftstellern beim Niederschreiben ihrer eigenen Feuilletons gelungen. Freilich war die äußere Einrichtung der Volksversammlungen ihrem Zwecke entsprechend. Da gab es kein gemeinsames Lokal der Zusammenkunft, sondern jedes Mitglied war mit dem Rednersofa telephonisch verbunden und hörte bequem von seinem eigenen Ruhebett aus die Reden, bzw. meldete sich dazu. Der beliebten Klage der Hausfrau wegen zu späten Nachhausekommens war damit ein für allemal der Boden entzogen; andrerseits kam es allerdings vor, daß ein Redner mitten im Satz abbrach, weil ihm die Gattin das Telephon vom Munde nahm; aber man vermutete dann, er sei bei seinen eigenen Worten eingeschlafen, und ehrte ihn als patriotischen Mann, der das Nationalheiligtum hochhielt.
    Siebler war Witwer und hätte daher ruhig ausreden können, wenn sein Reden nicht so schlummerungsbegeisternd auf ihn selbst gewirkt hätte. Aber während alle seine Zuhörer bei seinen Worten in einen wahrhaften Gähnjubel ausbrachen, lauschte im Nebenzimmer bangen Herzens seine Tochter Amalie den politischen Ausführungen ihres eigensinnigen Vaters. In ihre großen braunen Augen kam kein Schlummer; unaufhörlich zerbrach sie sich das blonde Köpfchen, wie sie die eben gehörten schroffen Ansichten mit ihren seit Monaten gehegten Lieblingsplänen vereinigen könnte. Wie sollte das werden? Schon immer standen der Vater und ihr heimlich geliebter Dormio Forbach sich als „Wohlmeinender“ und „Gutmeinender“ politisch verfeindet gegenüber, und das war der Grund gewesen, warum Dormio noch nicht gewagt hatte, um Amalie anzuhalten. Nun aber trat der Vater auch noch gegen die privaten Interessen ihres Dormio auf, wenn er die Verstaatlichung der Schlaf- und Traumanstalten betrieb. Denn Dormio war Traumfabrikant.
    Kaum hatte sich Amalie jetzt von der Festigkeit des väterlichen Schlafes überzeugt, als sie den Sprechanschluß an die Forbachsche Traumanstalt bewirkte. Zärtliche Worte und elektrisch treu vermittelte Küsse feierten den ungestörten Verkehr der Liebenden, bis ihre Sorgen sich in Klagen Luft machten. Endlich erklärte Forbach entschieden, er würde morgen den Versuch wagen, mit Amaliens Vater zu sprechen, möge der Erfolg sein, wie er wolle. Wenn es nur ein Mittel gäbe, den Vater in eine günstige Stimmung zu versetzen! Vielleicht durch einen Traum? Daran hatte Amalie natürlich schon öfter gedacht; aber wie sollte sie den Vater bewegen, sich Forbachs Behandlung zu unterziehen, da er ein entschiedener Gegner der privaten Traumfabrikation war? Eben wollte sie über diese Frage mit dem Geliebten weitere Rücksprache nehmen, als derselbe sich durch Geschäfte gezwungen sah, die Unterredung auf einige Zeit zu unterbrechen. Einer seiner Kunden hatte sich darüber beschwert, daß er immer von seiner Schwiegermutter träume; dem solle man abhelfen. Der Schlaf hatte die materielle Seite des sozialen Problems gelöst, der Traum sollte die Gemütsfragen in Ordnung bringen. Während des Schlafes denkt der Mensch nicht, d. h. er denkt nicht in der Art, wie es im Wachen geschieht oder geschehen soll, unter strengster Observanz der Sätze von der Identität, vom Widerspruch. Im Schlafe wird nur geträumt, nicht geprüft und gefolgert. Es kommt uns im Traume gar nicht darauf an, uns plötzlich in abgerissenem Anzüge die Straße fegen zu sehen, dabei aber auf den Schultern unseres vorgesetzten Kabinettschefs spazieren zu reiten; wir versetzten ihm mit unseren Füßen einige Rippenstöße, worauf er eine Tabakspfeife aus der Tasche zieht, in welcher wir unsere treulose Geliebte erkennen; während wir dieselbe in den Armen halten, bemerken wir, daß es unsere in Amerika verstorbene Erbtante ist, die sich in einen unendlichen Regen heller Sterne auflöst, von denen wir nicht zu erkennen vermögen, ob es funkelnde Küsse oder heimliche Goldstücke sind – wer kennt nicht diese wirren Phantasiespiele, über welche wir uns nicht im geringsten wundern? Glückliches Volk, das anstatt der unerbittlichen Konsequenz politischer Kritik oder wissenschaftlicher Forschung frei vom Satze des Widerspruchs sein heiteres Traumdasein genießt! Da staunt man nicht mehr über die entgegengesetzte Deutung gleicher Tatsachen aus demselben Munde, nicht über den Gesinnungswechsel eines Mannes,

Weitere Kostenlose Bücher