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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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nicht über die positive Erklärung, daß schwarz weiß sei; still vergnügt nimmt man alles hin und tut doch, was man will. Denn die Menschen tragen keine Verantwortung. Sie träumen, und was sie träumen, verschwimmt mit dem Erwachen, nur die süße Erinnerung der Freiheit bleibt. Am Tage einige wache Stunden engumschriebenen Wirkens im streng geregelten Mechanismus des bürgerlichen Lebens, dann sinken sie beseligt wieder in die sanften Arme des Schlafgottes, um den lieblichen Reigen der Traumelfen zu teilen. So löst sich das zweite große Problem der Kultur, wie die individuelle Freiheit zu vereinen sei mit dem notwendigen Zwange staatlicher Ordnung. Je weniger die Menschen wachen, um so weniger bedürfen sie des Zwanges, um so weiter dehnt sich das Reich seliger Traumfreiheit.
    Aber diese Freiheit darf keine Bestimmungslosigkeit sein. Sie soll erquicken, nicht durch Überraschungen quälen. Daher muß nach Mitteln gesucht werden, wenigstens die allgemeinen Bahnen des Traumverlaufs zu bestimmen, die Schreckbilder abzuhalten, die ungefähre Richtung der dichtenden Phantasie vorzuschreiben. Auch dies Problem hatte die Biomystik gelöst; ein Professor der Physiologie, der sich in somnambulen Zustand versetzt hatte, entdeckte im Hochschlafe das „Traumorgan“.
    Ja, das Traumorgan existierte wirklich, und zwar dort, wo es die Verehrer des tierischen Magnetismus gesucht hatten, in der Nähe der Magengrube, mit welcher die Somnambulen bekanntlich lesen können; es saß im sogenannten Sonnengeflecht des Gangliensystems in Gestalt eines die Nervenbläschen erfüllenden spezifischen Nervengases und hatte die empirische Formel
     
    C 632 H 418 N 26 S 8 Fe 2 O 99 .
     
    Man hatte es einem Mörder exstirpiert, der vor Gewissensbissen nicht schlafen konnte; seitdem erfreute er sich eines ruhigen, traumlosen Schlafes. Ein Philosoph, welcher dem Mystizismus huldigte, verlor das Traumorgan durch einen unglücklichen Sturz auf den Magen, indem er über eine seiner nachschleppenden Perioden stolperte; seit jenem Tage schrieb er durchaus klare Bücher.
    Dormio Forbach war Spezialist für das Traumorgan. Er wirkte darauf teils direkt durch äußere Reize, teils setzte er die einzelnen Teile der Hirnrinde mit dem Traumorgan nach Bedürfnis in Verbindung und lenkte dadurch den Gang der Traumphantasie. Seine Haupteinnahme bildete der Verstand des von ihm fabrizierten Traumgases, das in besonders präparierte Kautschukkissen gefüllt und von den Abnehmern eingeatmet wurde. Diese Traumkissen waren außerdem mit Vorrichtungen versehen, wodurch leichte Reize auf diejenigen Organe des Schlafenden ausgeübt wurden, deren Tätigkeit im Traumbilde in Anspruch genommen werden sollte. Ein Augenreiz zauberte Farbenspiele hervor, welche die Traumphantasie nach Maßgabe der gleichzeitigen übrigen Reize und der stattfindenden Vorstellungsassoziationen zu beliebigen Bildern umschuf. Wollte man z.B. Landschaften sehen, so wurde zugleich in passender Weise auf das Ohr gewirkt, man sprach die Namen von bekannten Bergen und Gegenden aus, ließ das Geräusch rasselnder Wagen oder sanften Herdengeläutes ertönen und lenkte dadurch die Assoziation der Traumbilder.
    Dem unzufriedenen Besteller, der sich über den Traum von der Schwiegermutter beschwert hatte, ließ Forbach ein anderes Traumkissen zurecht machen.
    „Man kann gar nicht genug auf die Individualität der Kunden achten,“ sagte Forbach zu seinem Assistenten. „Hätte ich gewußt, daß der Mann verheiratet ist, so hätte ich mich vorgesehen. Sie wissen, wie es uns neulich mit der Bestellung auf Träume von Landschaftsbildern ergangen ist. Der Schläfer hielt den Lichtreiz für ein Schadenfeuer statt für den Sonnenaufgang, aus dem Kuhreigen machte er Feuerlärm, sprang aus dem Bette und goß das Waschbecken darüber. Wir mußten den Schaden bezahlen.“
    „Der Mann hatte vermutlich zu viel Traumgas genommen.“
    „Das nicht, aber er war Brandmeister.“
    Forbach brach einen Brief auf, warf ihn aber sogleich ärgerlich auf den Tisch.
    „Da haben wir denselben Fall!“ rief er. „Dr. Mieriger meldet sich ab; was uns denn einfiele, ihn vom Ausbruch der Cholera träumen zu lassen! Was in aller Welt haben Sie ihm denn geschickt?“
    „Er wünschte angenehme geschäftliche Träume, und so sandte ich ihm Kissen Nr. 6 mit leichten Carbolreizen und Trauermarsch. Ich glaubte, für einen Arzt müsse es sehr angenehm sein, von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Stadt

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