Traumkristalle
niemand etwas davon, wir werden sonst in der Steuer erhöht.“ „Mark“ sind offenbar die bekannten Götzenbilder, und „Lotterie“ soll ein Volksspiel sein, wobei die Veranstalter Belohnungen erhalten. Sonst aber ist alles unklar. Erstens: „Liebe Frau!“ Was ist „liebe“, und was ist „Frau“? Ein Weibchen ohne Flügel? Dann aber ist sie doch Mutter und Königin, wie kann sich ein Männchen erdreisten, sie als seine liebe Frau anzureden? Und Steuer – was ist Steuer? Es muß doch wohl ein Übel sein, da der Mensch es vermeiden will. Nach der Erklärung unserer Gelehrten soll aber die Steuer bei den Menschen ein Hauptlebenszweck sein – wie also kann sie ein Übel heißen? Was mich indessen am allermeisten stutzig macht, ist der Ausdruck: „Sage es niemand.“ Wie kann man etwas, was ist, nicht sagen wollen? Etwas, was nicht ist, kann doch überhaupt nicht gesagt werden, und was ist, kann durch die Rede nicht anders gemacht werden. Oder sollte es bei den Menschen möglich sein, daß etwas, was für einige ist, für andere nicht sein könnte? Das scheint mir ein unlösbarer Widerspruch.
Flügelsonne 15.
Mit einigen Führern und 56 Arbeitern auf der Jagd. Da sahen wir denselben Menschen, der uns einmal angegriffen hatte, aber diesmal war noch ein Weibchen bei ihm. Sie schienen sich sehr angelegentlich zu unterhalten. Mehrmals näherte er seinen Fühler dem ihrigen, den sie aber immer wieder zurückzog. Ich bewaffnete mich mit einem Krch’schen Sehrohr und einem Hlmz’schen Schalltaster und wagte mich bis auf das Haar des Weibchens. Es schien mir von derselben Art zu sein wie die neulich gefundene Haarlocke. Mit Hilfe des Schalltasters hoffte ich ihr Gespräch zu verstehen, aber ich konnte nur so viel wahrnehmen, daß sie mehrmals sagte: „Nein, nein – wir dürfen uns nicht wiedersehen.“ Der Mensch ging darauf sehr betrübt fort, gab ihr aber vorher ein Papier, das sie in die Haut steckte, oder vielmehr, wie wir jetzt wissen, in die künstliche Haut, welche die Menschen über die Naturhaut ziehen. Als er fort war, fielen einige Tropfen aus ihren Augen, wobei ich in größte Lebensgefahr geriet, weil sie sich über Gesicht und Haar strich. Dann setzte sie sich unter einen Baum und hielt das Papier vor ihre Augen. Endlich ließ sie es in den Schoß sinken und saß lange unbeweglich davor. Nun zwackte ich sie in den Hals. Sie sprang auf, das Papier fiel herab, und der Wind trug es in ein Gebüsch, wo sie es nicht wieder erreichen konnte. Die Arbeiter, welche schon Verstärkung geholt hatten, waren bei der Hand, und 200 Mann schleppten das Papier in den Bau. Wir mußten das Menschenmuseum erweitern. Auf dem Papier stand ein Gedicht, das wir mit Hilfe einiger von der Expedition zurückgekehrten Gelehrten übersetzten. Es lautete:
Eine Herrin hab’ ich mir erkoren,
Lieb’ und Lieder sind ihr zugeschworen!
Ihres Auges Winke sind Befehle
Und ihr Lächeln Sonnentrost der Seele.
Worte, die von ihren Lippen schweben,
Müssen weiter mir im Herzen leben.
Wie ich tief sie hege im Gemüte,
Sproßt daraus des Liedes zarte Blüte.
Und von ihrer Nähe Licht getroffen
Wagt es sich hervor zu frohem Hoffen.
Eine Herrin hat’ ich mir erkoren,
Lieb’ und Lieder sind ihr zugeschworen!
Es ist gewiß merkwürdig, daß ein so rohes Tier wie der Mensch überhaupt derartige Kunstleistungen zustande bringt. Aber einen Sinn kann man freilich nicht darin finden. Erstens ist es schon Unsinn, daß ein Führer – und ein solcher muß doch der Mensch sein, denn gewöhnliche Männchen und Arbeiter können nicht Verse machen – daß ein Führer von einem Weibchen sich etwas befehlen lassen sollte. Und dann, was ist überhaupt Liebe? Ein Wort, mit dem die Menschen gern umherwerfen, aber ich glaube nicht, daß sie sich selbst dabei etwas denken. Wir wenigstens verstehen es nicht. Man sorgt für Puppen und Larven und für das Wohl des Staates, aber das ist doch alles selbstverständlich – und Liebe? Das muß wohl einer von den menschlichen Instinkten sein, über die wir, dank unserer Ameisenwürde, erhaben sind.
Flügelsonne 25.
In der Beherrschung der Sprache und Schrift der Menschen habe ich gute Fortschritte gemacht. Ich versäumte keine Gelegenheit, den Menschen zu studieren, der sich oft in unserer Nähe einfindet.
Flügelsonne 26.
Je näher ich die Menschen kennen lerne, um so mehr muß ich diese unglücklichen Geschöpfe bedauern. Nur das nehmen sie wahr, worauf
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