Traumkristalle
–“
„In Wiederholungen – meinen Sie.“
„Gott sei Dank, ja!“ lachte Burkel. „Aber doch auch an Neuem.“
„Und trotzdem“, bemerkte der Professor, „vermag man alles in Lettern darzustellen, was der Menschheit jemals gegeben werden kann an geschichtlichem Erlebnis, an wissenschaftlicher Erkenntnis, an poetischer Kraft, an Lehren der Weisheit. Wenigstens, soweit es sich in der Sprache ausdrücken läßt. Denn unsere Bücher vermitteln doch tatsächlich das Wissen der Menschheit und bewahren den Schatz, den die Arbeit des Denkens gehäuft hat. Die Zahl der möglichen Kombinationen gegebener Buchstaben ist aber begrenzt. Also muß alle überhaupt mögliche Literatur sich in einer endlichen Anzahl von Bänden niederlegen lassen.“
„Na, alter Freund, da redest du wohl wieder einmal mehr als Mathematiker denn als Philosoph. Wie soll das Unerschöpfliche endlich sein?“
„Erlaube, ich will dir gleich ausrechnen, wieviel Bände die Universalbibliothek haben wird.“
„Du, Onkel, wird’s sehr gelehrt?“ fragte Susanne Briggen.
„Aber Suse, für eine junge Dame, die eben aus der Pension kommt, ist doch nichts zu gelehrt?“
„Danke schön, Onkel, aber ich fragte eigentlich nur, um zu wissen, ob ich mir meine Handarbeit dazu holen soll, weil – ich dann besser nachdenken kann, weißt du.“
„Aha, Schlauköpfchen, du wolltest eigentlich wissen, ob ich eine sehr lange Rede halten werde. Ich denke gar nicht dran. Doch du könntest mir dort den Bogen Papier geben und den Bleistift.“
„Bringen Sie nur auch gleich die Logarithmentafel mit“, bemerkte Burkel trocken.
„Um Gotteswillen“, wehrte die Hausfrau.
„Nein, nein, ist nicht nötig“, rief der Professor. „Und mit der Handarbeit brauchst du nicht zu protzen, Suse.“
„Hier hast du eine bequemere“, sagte die Hausfrau und schob ihr die Schale mit Äpfeln und Nüssen hin.
„Danke“, antwortete Susanne, und ergriff den Nußknacker. „Nun nehme ich’s mit deinen härtesten Nüssen auf.“
„Jetzt kann erst einmal unser Freund reden“, begann der Professor. „Ich frage: Wenn man sich knapp einrichtet und auf besondere ästhetische Darstellung durch verschiedene Schriftgattungen verzichtet, auch mit einem Leser rechnet, der es nicht zu bequem haben will, dem es nur auf den Sinn ankommt –“
„Aber den gibt’s ja gar nicht.“
„Nun, nehmen wir ihn an. Wieviel Lettern wird man für die gesamte schöne und Unterhaltungsliteratur brauchen?“
„Na“, sagte Burkel, „beschränken wir uns auf die großen und kleinen Buchstaben des lateinischen Alphabets, die gebräuchlichen Interpunktionszeichen, die Ziffern und – nicht zu vergessen – das Spatium –“
Susanne blickte fragend von ihren Nüssen auf.
„Das ist die Type für den Zwischenraum, wodurch der Setzer die einzelnen Worte auseinander hält und die leer bleibenden Stellen ausfüllt. Das wäre also nicht zu viel. – Aber für wissenschaftliche Bücher! Was habt ihr Mathematiker für eine Masse Symbole!“
„Da helfen wir uns durch Indizes, durch kleine Zahlen, die wir oben oder unten an die Buchstaben des Alphabets setzen, wie ao, a^ a2 usw. Dazu brauchen wir nur noch eine zweite und dritte Reihe der Ziffern von 0 bis 9. Ja dadurch könnte man sogar bei ausreichender Verabredung beliebige fremdsprachliche Laute darstellen.“
„Meinetwegen. Ich will auch das deinem Idealleser zutrauen. Dann schätze ich, daß wir allerdings nicht mehr als etwa hundert verschiedene Zeichen nötig haben, um alles Denkbare durch die Schrift ausdrücken zu können.“
„Nun, sieh mal an. Und wie stark wollen wir einen Band machen?“
„Ich meine, man kann schon recht erschöpfend über ein Thema schreiben, wenn man einen Band von fünfhundert Seiten damit anfüllt. Denken wir uns auf der Seite etwa 40 Zeilen mit 50 Buchstaben (wobei natürlich Spatien, Interpunktionen usw. stets mitgezählt sind), so bekämen 40 x 50 x 500 Buchstaben für einen solchen Band, das gibt – Ja, das kannst du lieber ausrechnen.“
„Eine Million“, sagte der Professor. „Wenn man also unsere 100 Zeichen, beliebig oft wiederholt, in irgend einer Ordnung so oft zusammenstellt, daß sie einen Band von einer Million Buchstaben füllen, so wird man irgend ein Schriftwerk bekommen. Und wenn man alle möglichen Zusammenstellungen sich denkt, die überhaupt in dieser Weise rein mechanisch gemacht werden können, so hat man genau sämtliche Werke, die jemals in der Literatur geschrieben
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