Traumkristalle
ist etwas für mich!“ rief Susanne vergnügt. „Die Bände könnte ich schreiben, denn wenn es durcheinandergehen soll, da entwickle ich großes Talent. Da steht gewiß auch der Anfang drin, den ich einmal von der Iphigenie deklamiert habe:
,Heraus in eure Schatten, rege Wipfel,
Der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb,
Auf diese Bank von Stein will ich mich setzen.’ Wenn das da gedruckt stände, so wäre ich doch gerechtfertigt. Und da fände ich gewiß auch den langen Brief, den ich an euch geschrieben habe, und der dann auf einmal verschwunden war, als ich ihn abschicken wollte. Mika hatte ja ihre Schulbücher daraufgelegt. – O je!“ unterbrach sie sich verlegen, indem sie die widerspenstigen braunen Haare aus der Stirn strich. „Fräulein Grazelau hat mir doch ausdrücklich gesagt, ich soll mich in acht nehmen, daß ich ja nicht ins Schwatzen komme!“
„Hier bist du ganz gerechtfertigt“, tröstete der Onkel. „Denn in unserer Bibliothek stehen nicht nur deine sämtlichen Briefe, sondern auch sämtliche Reden, die du je gehalten hast oder halten wirst –“
„Ach, da gib doch lieber die Bibliothek nicht heraus!“
„Sorge dich nicht, sie stehen ja nicht bloß mit deinem Namen sondern auch mit dem von Goethe und überhaupt mit sämtlichen möglichen Namen der Welt unterzeichnet. Da findet z. B. auch unser Freund mit seiner Unterschrift verantwortlich gezeichnete Artikel, die alle denkbaren Preßvergehen enthalten, so daß sein ganzes Leben nicht ausreicht, die Strafen abzusitzen. Da findet sich ein Buch von ihm, wo hinter jedem Satze steht, daß er falsch ist, und ein Band, wo hinter genau denselben Sätzen die Wahrheit beschworen wird –“
„Na, nun ist’s gut“, rief Burkel lachend. „Ich wußte ja gleich, daß du uns etwas aufbinden würdest. Also, ich abonniere nicht auf die Universalbibliothek, denn es ist ja unmöglich, den Sinn aus dem Unsinn, das Richtige aus dem Falschen herauszusuchen. Wenn ich nun so und so viel Millionen Bände finde, die alle behaupten, die wahre Geschichte des Deutschen Reiches im 20. Jahrhundert zu enthalten, und die sich alle vollständig widersprechen, da kann ich ja gleich die Werke der Historiker selbst nehmen. Ich verzichte.“
„Das ist sehr schlau von dir. Denn du hättest dir eine hübsche Last aufgeladen. Übrigens flunkere ich nicht. Ich habe ja nicht behauptet, daß du dir das Brauchbare heraussuchen könntest, sondern nur, daß man genau die Zahl der Bände angeben kann, die unsere Universalbibliothek enthält und worin neben allem Sinnlosen auch alle sinnvolle Literatur stehen muß, die überhaupt möglich ist.“
„Da rechne es nur mal aus, wieviel Bände es sind“, sagte die Hausfrau. „Denn dieses weiße Papier läßt dir doch eher keine Ruhe.“
„Das ist ganz einfach, das kann ich im Kopfe machen. Wir überlegen uns nur, wie wir unsere Bibliothek herstellen. Wir setzen zunächst jedes unserer hundert Zeichen einmal hin. Dann fügen wir zu jedem wieder jedes der hundert Zeichen, so daß hundertmal hundert Gruppen zu je zwei Zeichen entstehen. Indem wir zum drittenmal jedes Zeichen hinzusetzen, bekommen wir 100 x 100 x 100 Gruppen von je drei Zeichen, und so fort. Und da wir eine Million Stellen im Bande zur Verfügung haben, so entstehen so viel Bände, als eine Zahl angibt, die man erhält, wenn man 100 ein Millionenmal als Faktor setzt. Da 100 gleich zehnmal zehn ist, so bekommt man dasselbe, wenn man die Zehn zweimillionenmal als Faktor schreibt. Das ist also einfach eine Eins mit zwei Millionen Nullen. Hier steht sie: Zehn hoch zwei Millionen: 10 2000000 .“
Der Professor hielt das Papier in die Höhe.
„Ja“, rief seine Frau, „ihr macht euch die Sache leicht. Aber schreibe sie einmal aus.“
„Ich werde mich hüten. Da hätte ich mindestens zwei Wochen lang Tag und Nacht ohne Pause daran zu schreiben. Die Zahl würde im Druck etwa eine Länge von vier Kilometern erreichen.“
„Puh“, rief Susanne. „Wie spricht man denn die aus?“
„Dafür haben wir keinen Namen. Ja, es gibt überhaupt gar kein Mittel, sie uns auch nur einigermaßen zu veranschaulichen, so kolossal ist diese Menge, obwohl sie endlich angebbar ist. Was man auch sonst an gewaltigen Größen nennen mag, das verschwindet gegen dieses Zahlenmonstrum.“
„Wie war’ es denn“, fragte Burkel, „wenn man sie in Trillionen angäbe?“
„Eine Trillion ist ja eine ganz hübsche Zahl, eine Milliarde Milliarden, eine Eins mit 18 Nullen. Wenn du
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