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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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von ihr erhalten; die Ausgewanderten selbst und ihre Nachkommen sind von jedem Verkehr und Einflüsse anderer Menschen und Völker abgeschnitten gewesen. Ich bin der erste, dem es gestattet ist, Kunde von jenen erhabenen Wesen nach Europa zu bringen, auf das sie mitleidig herabsehen.
    Durch Stürme über die Säulen des Herkules hinausgetrieben, wurde die Expedition nach wochenlangen Gefahren bis an jene ‚Felseninsel verschlagen, wo heute Apoikis steht. Hier fand sie Rettung. Der Fjord, in welchen auch unser Boot eingefahren war, windet sich weiterhin rückwärts und bildet das versteckte Binnenmeer, an dessen blühenden Ufern die Stadt Apoikis gegründet wurde. Das Land im Innern der Insel, sobald man die hohen Kalkspatmauern, die sie umgeben, überstiegen hatte, erwies sich als außerordentlich fruchtbar, das Klima milde und angenehm. Eine Bevölkerung von 7000 bis 8000 Seelen findet hier reichliche Nahrung, bei sehr geringer Arbeit. Eine größere Zahl von Einwohnern aber hat Apoikis niemals erreicht. Denn, wie mein Gastfreund sagte, das Glück eines Volkes besteht nicht in der möglichst großen Menge von einzelnen Zentren des Bewußtseins, sondern in der intensiven und gleichmäßigen Konzentration des Bewußtseins in jedem einzelnen Individuum. Als ich ihn fragte, ob denn Apoikis nie an Übervölkerung leiden könne, da lächelte er und sprach: „Das kann ich dir schwer erklären. Wenn du die ganze Entwicklung unseres Kulturzustandes kenntest und die Tiefe unserer sittlichen Weltauffassung zu begreifen vermöchtest, dann würdest du einsehen, daß deine Frage zu jenen unberechtigten gehört, wie z. B. warum die Welt existiert, ob die Seele im Gehirn sitzt, ob die Tugend blau oder grün ist.“ –
    „Erzähle nur unsere Geschichte weiter“, warf Frau Lissara ein. – „Als wir hierher kamen“, fuhr Philandros fort, „Schüler des Sokrates und Freunde des Platon, mit den Versen des Sophokles auf den Lippen und vor den Augen die Erinnerung an die Bilder des Phidias, im Herzen die Lehren des weisesten der Menschen, als wir hier ein sorgenloses Leben fanden, da bildeten wir eine kleine, aber glückliche Gemeinde philosophischer Seelen, und frei von jeder Nötigung, äußeren Gefahren entgegenzutreten, richteten wir alle Kraft auf die harmonische Ausgestaltung unseres inneren Lebens, Vertiefung des Denkens, Erziehung des Willens, maßvollen Genuß heiterer Sinnlichkeit. Zwei volle Jahrtausende verflossen, ohne daß ein Segel am Horizonte von Apoikis aufgetaucht wäre. In dieser Zeit haben wir uns unter Bedingungen, wie sie die Menschen erfüllte Erde keinem Volke bieten kann, hier einer ungestörten, fortschreitenden Entwicklung erfreut. Was wir indessen erreichten, das könnt ihr nie und nimmer gewinnen, auch wenn eure Kultur in gleichem Maße, wie in dem letzten Jahrhundert, noch ein paar Jahrtausende emporstiege, denn ihr steht auf ganz anderen historischen Grundlagen als wir. Hunderte von Millionen wollen glücklich werden; dazu müßt ihr erst das Leben in mühseligem Kampfe erstreiten und dann in hundert Millionen Herzen das Gefühl maßvoller Bescheidung wecken. Das letztere könnt ihr vielleicht erreichen durch eine Religion, welche die Gemüter fortreißt. Aber leben müßt ihr doch. Und wie ihr gestellt seid, so kann die Linderung des äußeren Elendes auch nur erreicht werden durch äußere Arbeit, und darum geht alle eure Kultur nur auf Machtentwicklung der Menschheit. Sie muß darauf gehen, weil ihr das Leben nicht anders zu bezwingen vermögt. Die unsere aber verachtet und kann verachten die ungemessene Höhe, aufweiche der Mensch durch Bezwingung der äußeren Kräfte der Natur gelangen kann. Denn sie hat erreicht die Tiefe, in welcher das Bewußtsein die Welt der Erfahrungen gestaltet und in welcher ihr alles andere von selbst zufällt. Ihr seht nur das Zifferblatt der großen Weltenuhr und studiert den Gang der Zeiger; wir aber blicken in das Räderwerk und auf die treibende Feder, die wir selbst sind, und verstehen das Werk zu rücken. Euch trifft damit kein Vorwurf, ihr konntet nicht anders vorwärtsschreiten, denn wo ihr es versuchtet, die Welt zu verachten und das Glück aus dem Innern zu gewinnen, da riß euch immer die hungernde Masse in den Zwang der Wirklichkeit, ehe ihr mit dem Bewußtsein der Gesamtheit in das Idealreich zu dringen vermochtet.
    Ihr konntet die äußere Macht nicht entbehren. Um sie zu gewinnen, mußtet ihr die Natur, die ihr verachten wolltet, wieder in eure

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