Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Augen.
»Jules?«
»Ja, ich bin noch da.«
Er weiß nicht, wie er beginnen soll.
»Sie hatten Recht?«
Dankbar darüber, dass er es nicht selbst aussprechen muss, nickt er. Doch dann wird ihm bewusst, dass Macy dies durch das Telefon nicht sehen kann und haucht ein leises Ja .
Macy schweigt. Sie sitzt in ihrem Zimmer und betrachtet den verwelkten Blumenstrauß auf ihrem Nachttisch. Die einst bunten Blütenblätter sind an den Rändern braun und hängen schlaf herab. Da er ihr erstes Geschenk von Jules ist, bringt sie es nicht übers Herz ihn wegzuschmeißen. Vorsichtig steht sie auf und tritt an ihren Schreibtisch heran. Das frisch geputzte Glas reflektiert das Licht der Mittagssonne. Durch das gekippte Fenster dringt Straßenlärm. Genervt schließt Macy das Brummen der Autos aus und lässt sich auf ihren Stuhl sinken. Auf dem Schreibtisch liegen einige Schulblätter verstreut. Im Anbetracht der bevorstehenden Aufgabe wirken sie nahezu lächerlich und unwichtig. Nicht einmal vor einer Notiz fürchtet sie sich noch.
»Wir treffen uns bei Hailey und Caleb in der Betonhölle«, sagt sie und legt auf, bevor Jules antworten kann.
Blitzschnell greift sie nach ihrer Jacke und schlüpft gleichzeitig in ihre Schuhe. Dass ihre Mutter übers Wochenende verreist ist, kommt Macy entgegen.
Ohne ein weiteres Wort stürmt sie in den Aufzug. Eine Frau mustert sie mit hochgezogenen Augenbrauen von oben bis unten. Macy weiß, dass sie irgendwo über ihr wohnen muss und zwei Kinder hat. Ein Mädchen, das mit Jules in eine Klasse geht und einen kleinen Jungen, der gerade mal neun Jahre alt ist. Der kleine Rotzlöffel hat Macy einmal einen Kaugummi an die Lederjacke geklebt und sich köstlich darüber amüsiert.
Höflich nickt Macy der Frau zu und stellt sich dann kommentarlos neben sie. Als sie aussteigt, spürt Macy ihren neugierigen Blick im Nacken, geht aber nicht weiter darauf ein, sondern durchquert mit großen Schritten die Eingangshalle, deren Marmorfließen jeden Ton wiederhallen lassen. Die High Heels der Frau klappern auf dem steinernen Untergrund so laut, dass Macy froh ist, die Glastür aufstoßen und im Freien stehen zu können, obwohl die Autos mit ohrenbetäubendem Lärm an ihr vorbeirasen. Die farbigen Karosserien vermischen sich zu einem bunten Regenbogen, der Macy schwindelig werden lässt. Schnell wendet sie sich nach links und geht mit zügigem Schritt den Gehsteig entlang. Ein älterer Mann mit Gehstock kommt ihr entgegen und würdigt sie keines Blickes. Sein weißes Haar bedeckt seinen Kopf nur noch spärlich. Ein Hinweis darauf, dass er sich keine Implantate leisten kann und somit zur ärmeren Schicht gehört. Dennoch geht er für sein Alter erstaunlich aufrecht. Bewundernd blickt Macy ihm kurz hinterher und eilt dann weiter.
Unruhig wirft Kira sich hin und her. Sie spürt einen stechenden Schmerz an ihrer Schulter. Obwohl sie Schmerzen dank Tattoo und Haarwurzelbehandlung gewohnt ist und ertragen kann, treibt dieser ihr Tränen in die Augen.
Von ihrer Schulter abwärts breitet er sich aus wie flüssiges Feuer. Selbst ihre Knochen scheinen in Flammen zu stehen. Ihre Kehle ist rau und ein dumpfes Hämmern hinter ihren Schläfen macht jeden klaren Gedanken unmöglich.
Dann verändert sich ihre Umgebung.
Sie steht in einem langen, dunklen Gang, der von unzähligen Türen gesäumt ist. Vorsichtig stößt Kira eine dieser Türen auf und blickt direkt in Calebs Augen. Erschrocken stolpert sie zurück, die Tür fällt ins Schloss, der rote Lack splittert ab. Sie will die Tür wieder öffnen, aber sie kann nicht.
Erst jetzt spürt sie die kalten Finger an ihrem Kopf. Sie kriechen in sie hinein, nehmen jede Erinnerung mit sich, die Kira besitzt. Gerade noch sah sie sich selbst als kleines Mädchen auf einer Schaukel. Ihr sonnengelbes Kleid wehte im Wind und die Luft roch nach Frühling. Im nächsten Moment ist da nichts. Nur Türen, die sich nicht öffnen lassen.
Kira reißt den Kopf zur Seite. Verwundert betrachtet sie den Korridor, der vor ihr liegt. Schwarze Schatten bedecken die Wände, bewegen sich, kommen näher. Kira weiß nicht, woher dieses Gefühl kommt, aber sie weiß, dass ihr etwas Wichtiges fehlt. Sie versucht zu schreien, doch in dieser Welt existieren keine Geräusche, alles ist still. Nicht einmal ihr eigener Atem dringt an ihr Ohr.
Sie rennt schneller, aber alles, was sie sehen kann, ist der endlose Gang mit den verschlossenen Türen. So viele Türen.
»Komm zu mir, Kira.«
»Wer ist
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