Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Inbegriff einer Städterin.
»Als meine Mutter starb, verlor mein Vater den Verstand. Dein Großvater konnte nichts dagegen tun, also nahm er mich mit in die Stadt. Er meinte immer, ich wäre zu klug, um auf dem Feld zu arbeiten.«
Eleonore schluchzt.
»Dein Vater hat mir überhaupt erst ein richtiges Leben ermöglicht.«
Mit einem Schlag versteht Hailey. Ihr Vater war wirklich Eleonores erste und einzige große Liebe gewesen. Schon als Kinder hatten sie sich so gut verstanden, dass er alles versucht hatte, um seine Freundin aus dem Randbezirk zu schleusen.
»Ich möchte so schnell wie möglich telefonieren.«
Hailey atmet tief durch. Die Geschichte ihrer Eltern hat sie an ihre eigene Liebe zu Caleb erinnert. Sie muss ihn dringend benachrichtigen, bevor er sich Sorgen macht und unüberlegt handelt. Sie kann auf keinen Fall zulassen, dass er sich für sie in Gefahr begibt.
»Wann sind wir da?«
Ihre Ungeduld lässt ihre Füße einen ungleichmäßigen Takt auf den Boden schlagen.
»Bald.«
Weitere Häuser rasen an ihr vorbei. Je weiter sie fahren, desto schäbiger werden die Fassaden. Die Häuserfarben wirken ausgeblichen und alt, teilweise fehlen Ziegel auf den Dächern.
An einer Straßenecke ragt ein großer, grauer Turm in die Höhe.
»Ein Wächtersitz«, erklärt Eleonore und Hailey drückt sich tiefer in den Sitz.
»Keine Sorge, von dort oben sehen sie dich nicht«, kommentiert Eleonore Haileys Verhalten und wirft dennoch besorgt einen Blick zu der Plattform.
In den Ecken sind schwere, schwarze Scheinwerfer angebracht. Einer der Wächter sieht direkt zu ihnen nach unten. Die Sonne steht ihm direkt im Rücken, so dass Hailey seine Umrisse nur schemenhaft ausmachen kann.
»Er sieht hierher.«
»Natürlich tut er das. Autos sind hier nicht gerade alltäglich.«
Tatsächlich fällt Hailey erst jetzt auf, dass sie im Randbezirk noch keinen anderen Wagen gesehen hat.
»Warum?«
Eleonore zuckt mit den Schultern.
»Sie sind hier einfach unnötig.«
»Man wird uns schnell finden. Wir sitzen in deinem Wagen und ...«
»Ach Hailey«, seufzt Eleonore und schüttelt den Kopf. »Du solltest mich langsam besser kennen. Das hier ist nicht mein Fahrzeug. Ich habe es mir ... geliehen.«
Unbehaglich rutscht sie auf ihrem Sitz hin und her.
»Geliehen?«
»Nun ... mit einem falschen Ausweis unter einem falschen Vorwand. Bei einer Werkstatt.«
Hailey entgleisen sämtliche Gesichtszüge.
»Ich habe immer gehofft, dass du wiederkommst.«
»Du hast was?«
»Ich habe getan, was nötig ist, um dich im Falle deiner Flucht zu beschützen«, rechtfertigt Eleonore sich.
Haileys Respekt vor ihrer Mutter wächst mit jeder Minute.
»Wir sind gleich da.«
Unruhig irrt Macy umher.
»Die Verbindung war einfach weg! Vielleicht ist etwas Schlimmes passiert! Nein, ich weiß , dass etwas nicht stimmt. Bitte lasst uns losgehen. Sofort. Wir müssen ihr helfen.«
Ununterbrochen redet sie weiter und malt sich dabei die schlimmsten Szenarien aus.
»Was ist, wenn sie jetzt schon tot ist? Können wir endlich los?«
Auffordernd sieht sie die beiden Jungs an. Jules ist kreidebleich und Caleb starrt resigniert seine eigenen Hände an.
»Wenn sie gefunden wurde, ist sie verloren«, flüstert Jules. Macy geht auf ihn zu und verpasst ihm eine Ohrfeige. Entgeistert starrt er zu ihr auf, während Macy die Hände vor dem Mund zusammenschlägt.
»Es tut mir leid.« Sie sinkt auf die Knie und berührt zaghaft Jules rotglühende Wange. »Es tut mir wirklich unendlich leid.«
»Jetzt reißt euch mal zusammen!« Calebs Stimme klingt zittrig, dennoch sieht er den beiden fest in die Augen. »Wir haben ihr versprochen, zu warten und erst dann was zu unternehmen. Ich mache mir auch große Sorgen um sie. Aber sie hat angerufen. Vielleicht hat ihre Mutter die Verbindung unterbrochen, weil ihr Telefon abgehört wird oder ... keine Ahnung! Aber hört auf, euch gegenseitig Vorwürfe zu machen! Ihr liebt euch doch!«
Atemlos hält Caleb inne. Er erwartet keine Antwort. Jules Hand legt sich auf Macys Wange.
»Mir tut es auch leid. Ihr geht es bestimmt gut.« Er lächelt krampfhaft. »Hey, immerhin hat sie die Klinik überstanden. Du kennst sie doch schon so lange ... Sie ist zäh, oder?«
Bei den Erinnerungen, die Macy in den Sinn kommen, muss sie schmunzeln.
Hailey in einem hellgelben Kleid, die schwarzen Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die Hände in die Hüften gestemmt. Die größeren Jungs haben Macy von der Schaukel geschubst.
»Macht,
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