Traummann in Klischee - ein heiterer Frauenroman
schritt die acht Stufen bis zur Pforte empor und befand mich ad hoc im Augenkontakt mit, ganz offensichtlich, Helene Kämpfert, geb. Hauser.
Mit durchdringendem Blick, den faltenreichen Hals von einem Brokatschal umschlungen, gestützt auf einen Gehstock, die extrem schmalen Lippen mit einem lilafarbenen Lippenstift nachgezogen, was den Mund noch schmaler erscheinen ließ, an den Beinen eine eng anliegende blaue Synthetikhose, an den Füßen weiße Absatzpantöffelchen mit Bommeln, die Haare fein säuberlich in blond gefärbte Löckchen gelegt, taxierte sie mich. Die Frau war ein Klischee.
Ich fühlte mich als Kaninchen in den Augen einer Schlange oder wie unter dem Blick meiner einstigen Klavierlehrerin, die auch immer so starrte, wenn ich meine Übungen nicht fehlerfrei spielte.
„Frau Kämpfert?“, fragte ich.
Sie öffnete den Mund und entließ ihm eine Wolke üblen Mundgeruchs, eine Mischung aus abgestandenem Zigarettenqualm und Sardinen in Öl.
„Ja?“
Ihr Ja klang misstrauisch. Wieso nur? Ich wollte ihr doch keine Versicherung andrehen.
„Meine Tante Leonore hat mich zu Ihnen geschickt. Sie haben Interesse an einer Gesellschafterin bekundet?“
Die alte Dame grunzte irgendetwas, hieß mich durch ein Nicken, ihr zu folgen, und ich betrat die Katakomben der begüterten Witwenschaft.
Die Wohnung sah aus wie ein Antiquitätengeschäft. Alles über den Krieg gerettet. Rechts das riesige Musikzimmer mit Flügel und Bücherschrank, links der Aufenthaltsraum, um die Ecke dann ein winziges Gästezimmer, das Schlafgemach, ein Gäste-WC. Die Zimmer weiter oben waren nicht in Gebrauch. Bad und Küche befanden sich im Keller. Dafür hatte der in die Wohnstube integrierte Essbereich einen Aufzug, eingebaut nach neuester Technik der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Ich wurde aufgefordert, mich auf einen harten Stuhl in der Stube zu setzten. Frau Helene Kämpfert bettete sich in einen Sessel, legte ihr rechtes Bein auf einen davor befindlichen Schemel und begann, ihren Damenzigarillo, der auf einem kleinen Beistelltisch halb aufgeraucht lag, neu zu entzünden. Während sie den ersten Zug inhalierte, konnte ich feststellen, dass sie mich interessiert aus den Augenwinkeln betrachtete. So musste sich ein Frettchen unter den Augen einer Schlange fühlen.
Eine Weile sahen wir uns schweigend an. Ich wusste nicht so recht, sollte ich etwas sagen, oder erwartete es die Höflichkeit, auf ein Wort der Gastgeberin zu warten? Ich kannte mich nicht so recht in den Geflogenheiten der feinen Kreise aus, dem sie ja wohl zuzugehören glaubte. Frau Kämpfert geb. Hauser grunzte nach ungefähr drei Minuten und richtete dann endlich mit einer rauchigen Stimme ein erstes Wort an mich.
„Sie sind also die Kleine von meiner Anwältin?“, fragte sie mit einem darauf folgenden Nachtrag von Husten.
„Ich bin nicht Leonores Kleine, ich bin ihre Nichte.“
Meine Worte wurden ein wenig aggressiver ausgesprochen, als ich es vorgehabt hatte. Aber dieser überhebliche Ton einer erwachsenen Frau gegenüber, von wegen ‚Kleine‘ (ja, bin nur 1,65 m, aber trotzdem) brachte mich dann doch ein wenig in Wallung. Aber ich schmunzelte, während die Augenbrauen der Dame nach oben schnellten.
„Dann erzählen Sie mal ein wenig von sich“, sie blies mir eine kleine Wolke ihrer Fluppen ins Gesicht. Etwas angewidert, aber Frau der Situation, versuchte ich ihr in strahlenden Worten mein Leben zu schildern. Meine behütete Kindheit, Studium, meine Reisen durch die Welt, meine Tätigkeiten und Erfahrungen. Ich ließ auch meine kurze Tätigkeit als Seniorenbetreuerin keineswegs unerwähnt. Wahrscheinlich hätte ich aber genau das nicht tun sollen, denn Frau geb. Hauser glaubte noch mit keiner Faser ihres Körpers auch nur annähernd irgendwelcher Betreuung zu bedürfen. Jedoch wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Losgelöst davon sah ich mich auch nicht als Pflegerin, glaubte einzig in dieser Äußerung einen Bonuspunkt für mich zu ergattern. Die Dame mit den kleinen Löckchen und der riesigen Villa starrte mich mit giftigem Augenausdruck an und rauchte an ihren Glimmstängel. Danach erhob sie sich aus ihrem Sessel und schlich ein wenig im Zimmer auf und ab.
„Die Gabe einer Gesellschafterin“, dozierte sie, „ist es, im rechten Augenblick zu schweigen und gleichzeitig zu unterhalten. Ich habe bereits einige Gesellschafterinnen in meinem Leben gehabt. Junge Damen aus gutem Hause mit ebensolcher Erziehung, die durch mich eine
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