Traummann in Klischee - ein heiterer Frauenroman
wobei Natan seine riesigen Stinkefüße von hinten über die Nackenstütze nach vorne schob. Nacheinander schlossen sich ihre Augen, klapp klapp klapp. Ich gähnte und rollte in Schrittgeschwindigkeit, eingesperrt in einer Blechlawine, die Autobahn entlang.
Neben unserem Wagen schlich das Wohnmobil eines älteren Pärchens. Die Dame des Campingwagens stieg aus, klopfte an meine imaginäre Scheibe (ich hatte die Klimaanlage ausgestellt und stattdessen die Fenster heruntergelassen) und reichte mir eine kalte Zitronenlimonade im Pappbecher.
„Selbst gemacht, junge Frau. Fahren Sie am besten die nächste Abfahrt runter, machen wir auch, da kommen Sie schneller zur Ostsee“, ich bedankte mich aus tiefstem Herzen. Was für eine nette Frau. Woher sie wohl wusste, dass wir zur Ostsee wollten? Wegen der aufgeblasenen Luftinsel auf dem Gepäckträger? Die Zeiger der Armaturenuhr krochen dahin.
Ein Stau ist ein faszinierender Prozess. Eine Baustelle, eine Bremsung, die andere nach sich zieht, ein unvorhergesehenes Überholmanöver, ein liegen gebliebener Wagen und so weiter. Das alles sind mögliche Gründe für eine Verkehrsflussstörung. Über uns kreiste bereits ein Helikopter, wohl um eine Aufnahme der gegenwärtigen Situation zu machen, oder um sich köstlich zu amüsieren. Er war ein Geier in der Wüste mit rotierenden Flügeln, lauernd eine malade Schlange beobachtend. Und kurz vor dem Dahinscheiden musste die Blechschlange wohl sein, wenn sie so langsam vorwärtskroch.
Ich sollte dringend auf die Toilette. Die Zitronenlimo hatte mein durstendes Inneres zwar ein wenig gelabsalt, jedoch dem natürlichen Wunsche der Körperentleerung weit mehr als Nachdruck verliehen. Aber wo und wie?
Wir standen wieder, und zwar bereits seit einer halben Stunde, ohne auch nur ein paar Meter vorwärts zu fahren, und keine Raststätte in Sicht. Aus dem Radio erklang Jazzmusik. Kurz entschlossen klopfte ich, es war ein inzwischen fast unaufhaltsamer Druck, an das Wohnmobil. Man ließ mich gewähren.
Welche Erleichterung, auf diesem kleinen Örtchen sitzend, Freiheit zu fühlen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Aber was war das, das stille Örtchen begann sich zu bewegen. Fuhren wir etwa weiter? Hysterisch sprang ich auf.
„Halt, ich muss noch raus“, schrie ich.
„Na dann aber hopp, der Stau setzt sich in Bewegung!“, kam es von vorne.
Die Dame öffnete mir die Seitentür, und ich sprang, so behände es die Situation mir erlaubte, aus dem Automobil. Dem Himmel sei Dank fuhren bzw. standen wir auf der rechten Seite. Der Kombi wartete 30 Meter weiter hinten. Offenbar schliefen noch alle. Das Hupen der anderen Fahrzeuge schien die Insassen nicht zu stören. Ich hatte einen Stau im Stau provoziert. Irgendwie schaffte ich den Sprung zur Fahrertür hinein und musste mir dabei von einem genervt erscheinenden Autofahrer einen Vogel zeigen lassen. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, wie darauf reagieren sollte, ließ es dann aber dabei bewenden.
Der Strom der Fahrzeuge ruckelte und zuckelte zwar in Schrittgeschwindigkeit, doch immerhin bewegte er sich wieder. Ich dachte an Galileis angeblichen Ausspruch:
„Und sie bewegt sich doch!“ Wie wahr! Alles schnarchte. Selbst wenn ein Autodieb den Pkw samt Inhalt gestohlen hätte, der Inhalt hätte es wohl kaum bemerkt. In gemäßigtem Tempo bewegte sich der Kombi vorwärts. Ich fuhr tatsächlich die nächste Ausfahrt hinunter und schlich nun, die dörfliche Idylle genießend, hinter all den Staufliehenden hinterher. Ich wage im Nachhinein zu bezweifeln, dass wir auf der Landstraße schneller vorwärts kamen als jene, die auf der Autobahn geblieben waren. Augenscheinlich hatten mehrere Ostseeurlauber eine ähnliche Idee gehabt.
Noch immer schnarchte es neben mir. Die Schwüle des Tages wirkte drückend, und auch der Himmel verdunkelte sich zusehends. Der Tross der Meergetriebenen schmolz ein wenig, die Pkws verteilten sich auf diverse weiterführende Straßen in Richtung Strand.
Und da war er dann endlich, der Darß. Ein kleines, ehemals idyllisches Halbeiland an der Ostsee. Inzwischen ein von Urlaubern unterwandertes, touristisch zu Tode erschlossenes Ferienparadies und die wirtschaftliche Haupteinnahmequelle des Landstrichs. Aber wenn das Glück einem hold ist und der Geldbeutel diese Ausgabe verkraftet, dann kann sich das Feriendomizil durchaus noch als reetgedecktes altes Fischerhäuschen entpuppen, etwas abseits von den Strömen der sonnenhungrigen
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