Traummann mit Zuckerkuss
Abend war hier noch viel zu tun. Sie würde ihre Versicherungspapiere unterzeichnen, im Vorratskeller Inventur machen und dann gucken, ob ihr vielleicht jemand einen Blumenstrauß nach Hause geschickt hatte. Um den Tag ausklingen zu lassen, würde sie sich vielleicht noch in die Wanne legen, etwas von dem schrecklichen Wein ihrer Mutter trinken und…
Als Issy wieder aufwachte, stand die Sonne bereits tief am Himmel, und der kleine Baum warf seinen Schatten sogar bis in den Laden hinein. Sie zwinkerte ein wenig und fragte sich einen Moment lang, wo sie überhaupt war. Und dann war da ein Geräusch, das ihr irgendwie bekannt vorkam… ja, das war Felipe, der auf seiner Geige spielte. Aber warum denn nur so spät am Abend, jetzt hatte doch alles zu? Sie hatte doch nicht etwa bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen, oder? Sie sah auf die Uhr. Nein, sie hatte nur anderthalb Stunden gedöst. Aber was war das denn bloß für ein Lärm? Sie drehte sich um, reckte schläfrig die Arme, und…
» Überraschung!«
Zuerst dachte Issy, dass sie immer noch träumte. Das ergab doch gar keinen Sinn. Draußen war das kleine, mickrige Bäumchen in der Dämmerung mit einer Lichterkette geschmückt. Die Straßenbeleuchtung brannte bereits und erinnerte sie an die Laterne in Narnia. Aber was sie beleuchtete, war noch viel erstaunlicher. In einem eher schäbigen Jackett mit Krawatte spielte Felipe Someday, und um ihn herum standen… einfach alle.
Helena war gekommen, natürlich mit Ashok, der ihr den Arm um die Schulter gelegt hatte und sie zur Schau trug wie eine wertvolle Vase. Der Juniorarzt glaubte fest daran, dass ihn sein unermüdlicher Arbeitseifer auf die medizinische Fakultät gebracht und ihm zu den Schichten in den schwierigsten Stationen verholfen hatte und dass er sich so eines Tages zu einem führenden Chirurgen hocharbeiten würde. Hingabe war für ihn alles, und so war er auch bei Helena vorgegangen. Und das schien sich langsam auszuzahlen. Er versuchte, nicht über beide Ohren zu grinsen, innerlich war er jedoch stolz wie Oskar. Zac war mit seiner Freundin, Noriko, gekommen. Pearl und Louis waren natürlich da und lachten sich tot, und an Carolines Seite hopsten Hermia und Achilles aufgeregt herum. Aber abgesehen davon waren auch ihre Freunde da– alle alten Freunde. Tobes und Trinida vom College waren den weiten Weg aus Brighton hergekommen. Und Tom und Carla aus Whitstable. Und Janey, mit der sie seit jenem unglückseligen Theaterstück in der Orientierungswoche befreundet war. Die hatte sich zwar von ihrem neuen Baby losgerissen, sah aber völlig erschöpft aus. Paul und John waren da und offensichtlich immer noch schwer verliebt, Brian und Lana, von denen sie eigentlich dachte, dass sie sie nur noch über Facebook sehen würde, wenn überhaupt, und sogar François und Ophy aus ihrem alten Büro… Issy ging das Herz auf. Sie wollte aus dem Café laufen, bemerkte dann aber, dass sie hinter sich abgeschlossen hatte, und musste herumsuchen, um die Schlüssel zu finden. Draußen wurde immer noch herzlich gelacht, und als sie sie endlich hereinließ, begann die ganze Truppe, laut Happy Birthday zu singen, was Issy augenblicklich die Tränen in die Augen trieb, genauso wie die wunderbaren, wohlüberlegten Geschenke, die Umarmungen und Küsse.
» Das ist jetzt deine letzte Chance«, meinte Zac. » Hör auf, all deine Freunde zu vernachlässigen.«
» Okay«, versprach Issy und nickte heftig. Wer das Café noch nicht gesehen hatte, kam herein und bestaunte es mit viel Ah und Oh, und Helena öffnete die Champagnerkisten, die sie vom Haus herübergeschleppt hatten. Dort hatten zuvor alle fünfundvierzig Minuten lang im Schrank gehockt, bevor ihnen klar geworden war, dass Issy wohl nicht nach Hause kommen würde. Als Erste hatte Pearl geahnt, wo sie wohl steckte, und Helena informiert. Schließlich hatten sie sich dann vergnügt kichernd einer nach dem anderen auf den Hof geschoben. Aber jetzt war endlich Feiern angesagt! Und Issy hatte dafür sogar ein perfektes neues Kleid.
Felipe fiedelte, was das Zeug hielt, während Freunde, Familie, Kunden und auch einige blinde Passagiere (wie Berlioz, der auftauchte, um sich an den Häppchen gütlich zu tun) feierten und schwatzten. Es war ein wunderbar warmer Abend, und das sanfte Licht aus dem Cupcake Café, die Lichterkette im Bäumchen und ein paar Kerzen, die Helena mitgebracht hatte, tauchten den ganzen Pear Tree Court in ein zauberhaftes Leuchten, das den Hof zu einem
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