Traummann mit Zuckerkuss
sie als seine offizielle Freundin bezeichnet hatte oder sie seinen Eltern vorstellen wollte. Zusammenzuziehen war hingegen ein großer Schritt. Selbst als sie die paar Monate zusammen gewesen waren, hatte die Sache auf sie kaum so ernst gewirkt, und Graeme kam ihr jetzt auch nicht gerade wie ein herzlicher und gastfreundlicher Typ vor. Aber andererseits hatte sie auch Ashok, der sich als der tollste Mann der Welt herausgestellt hatte, für einen schüchternen, zurückhaltenden Typen gehalten, also, was wusste sie schon.
» Oh«, sagte sie und versuchte, nicht allzu heuchlerisch rüberzukommen. » Das ist ja super!«
Dann sah sie ihre Freundin prüfend an. Issy klang begeistert, aber… war ihr Überschwang auch echt? Fand sie das wirklich so toll? Noch vor drei Monaten hätte sie nach dieser Ankündigung vor Freude Luftsprünge gemacht, aber jetzt wirkte sie irgendwie…
» Und, bist du glücklich?«, fragte Helena. Sie fuhr zusammen, als ihr klar wurde, wie harsch ihr Tonfall klang.
» Hm, sollte ich das etwa nicht sein?«, fragte Issy versuchsweise. » Ich meine, du weißt schon… wir reden hier von Graeme. Graeme. Nach dem ich schon lange, lange, lange völlig verrückt bin und der mich gerade gefragt hat, ob ich bei ihm einziehen will.«
Ihre Mitbewohnerin schwieg kurz und goss den Tee ein. Sie ließen einen Moment verstreichen und hantierten mit Tassen und Löffeln herum, bis Helena endlich wieder den Mund aufmachte.
» Also, weißt du, du musst das nicht machen. Wenn dir nicht danach ist. Ihr habt ja schließlich jede Menge Zeit.«
» Aber genau das will ich«, beteuerte Issy. Sie klang aufgewühlt, so als versuchte sie, sich selbst etwas einzureden. » Und nein, mir bleibt nicht mehr viel Zeit, Lena, tu doch nicht so. Ich bin zweiunddreißig. Ich bin kein Kind mehr. Ich meine, so langsam werden doch alle sesshaft, auf der Party musste ich mir etwa neuntausend Babyfotos ansehen. Und das wünsche ich mir auch, Lena. Das ist es, was ich möchte. Einen guten Mann, der mich liebt und sein Leben mit mir teilen will und das alles. Deshalb bin ich doch kein schlechter Mensch, oder?«
» Natürlich nicht«, meinte Helena. Und es stimmte schon, dieser nette Typ von der Bank, na ja, bei dem konnte man ja nicht einmal darauf vertrauen, dass er seine Unterhose richtig herum anzog, geschweige denn sich um Issy kümmern würde, oder? Und außerdem musste er auch schon ein Kind versorgen. Graeme hingegen verdiente gutes Geld, sah toll aus und hatte nicht so einen Klotz am Bein– er war in jeder Hinsicht eine gute Partie, klar.
Und Issy hatte durchaus recht, Helena hatte das schon so oft miterlebt. Jemand machte mit dem Partner Schluss, nur weil er irgendwie nicht perfekt schien, und hoffte dann, noch etwas Besseres zu finden, aber das war nicht immer der Fall. So lief das im Leben einfach nicht. Sie hatte zu viele Freundinnen und Kolleginnen, die sich einsam fühlten und Torschlusspanik hatten und sich von ganzem Herzen wünschten, dass sie mit einunddreißig nicht Mr Ich-bin-zwar-nett-aber-eben-nicht-perfekt in die Wüste geschickt hätten. Okay, er hatte eben etwas länger gebraucht, bis er Issy endlich ernst nahm– aber deshalb musste er doch kein mieser Typ sein, oder?
» Das ist toll«, sagte Helena. » Ich würde ja vorschlagen, darauf anzustoßen, aber ich fürchte, du hattest diese Woche schon genug Alkohol.«
» Hör auf, mich wie eine Patientin zu behandeln.«
» Letztens wurde bei uns eine junge Frau eingeliefert, jünger als du, und die war ganz gelb angelaufen. Leberversagen.«
» Mir mit Graeme eine Flasche Wein zu teilen führt nicht zu Leberversagen.«
» Ich meine ja nur.«
Aber es fühlte sich gut an, dass sie jetzt wieder beim üblichen Geplänkel waren. Trotzdem tranken sie ihren Tee schweigend zu Ende. Die Situation war Issy irgendwie unangenehm, und sie war ein wenig geknickt. Eigentlich hatte sie nämlich erwartet, dass Helena sich wie üblich mit ihrer spitzen Zunge auf sie stürzen und feststellen würde, wie albern dieser Vorschlag doch war, dass sie natürlich nicht bei Graeme einziehen konnte und stattdessen hier bei ihr bleiben würde. Nichts würde sich ändern, alles wäre einfach super, und hinter der nächsten Straßenecke würde eine Million heißer Typen und tolle Überraschungen auf sie warten. Aber so hatte Helena nicht reagiert. Ganz und gar nicht. Was wohl hieß, dass Issy total bescheuert war. Natürlich war dies das Richtige. Es war ganz wunderbar. Und tief in ihrem
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