Traummann mit Zuckerkuss
einem Termin bei einem Bankberater für Unternehmensgründer aus und fragte sich, wie man wohl an eine Karte für den Großmarkt kam. Issy war so aufgeregt, dass sie kaum an sich halten konnte. Sie hatte sich schon seit Jahren nicht mehr so voller Leben gefühlt. Im Hinterkopf hatte sie nur eines: Ich schaffe das. Ich könnte das wirklich hinkriegen. Was hielt sie also zurück?
Am nächsten Sonntag nutzte Issy die lange Busfahrt zu Gramps’ Altenwohnheim gut. In ihrem neu erstandenen Notizbuch überarbeitete sie Kalkulationen und Zeitpläne und spürte, wie ihre Begeisterung immer größer wurde. Nein. Das ging einfach nicht. Es war keine gute Idee. Wenn man es andererseits recht bedachte– wann würde sie je wieder die Chance bekommen, so etwas in Angriff zu nehmen? Dennoch blieb die Angst, dass das völlig in die Hose gehen könnte. Was war an ihrer Idee denn besser als bei all denen, die diesen Laden gemietet und damit kläglich gescheitert waren?
The Oaks war ein früheres Herrenhaus. Die Heimleitung hatte ihr Bestes getan, um es den Bewohnern gemütlich zu machen– das Herrenzimmer hatte man im Originalzustand belassen. Issy hatte auf das Geld aus dem Verkauf der Bäckereien zurückgreifen können, und Helena hatte das Oaks als das beste Heim seiner Art empfohlen. Und trotzdem. Die Lehnstühle, die Geländer überall, und dann war da auch noch dieser Krankenhausgeruch. Es war eben, was es war.
Als sie Issy nach oben begleitete, war die junge, rundliche Krankenschwester namens Keavie freundlich wie immer, wirkte aber ein wenig zerstreut. » Was ist denn los?«, fragte Issy.
Keavie machte eine nervöse Geste. » Sie sollten wissen«, warnte sie die Besucherin, » dass er schon bessere Tage hatte.«
Issy wurde es schwer ums Herz. Ihr Großvater hatte zwar ein paar Wochen gebraucht, um sich an die neue Situation zu gewöhnen, schien sich inzwischen aber ganz gut eingelebt zu haben. Die alten Damen bemutterten ihn eifrig– es gab kaum Männer im Haus–, und er hatte sogar an der Kunsttherapie Spaß. Die Therapeutin mit dem eindringlichen Blick war es auch gewesen, die ihn dazu überredet hatte, seine Rezepte für Issy aufzuschreiben. Seine Enkelin war wirklich glücklich, Joe in Sicherheit zu wissen, an einem Ort, an dem er es gemütlich und warm hatte und gut versorgt wurde. Und deshalb begann sie bei Keavies Worten zu frösteln. Sie stellte sich auf das Schlimmste ein, als sie den Kopf zur Tür hereinsteckte.
Grampa saß aufrecht im Bett, eine Tasse kalten Tee neben sich. Er war nie dick gewesen, und jetzt bemerkte sie, dass er noch weiter abgenommen hatte. Die Haut fiel ein und hing an den Knochen, als wollte sie irgendwohin, wo sie es besser hatte. Er hatte noch immer Haare, obwohl sie jetzt wie ein feiner weißer Flaum die Kopfhaut bedeckten, seltsamerweise wie bei einem Baby. Er wird wieder zum Baby, dachte Issy traurig. Wieder Füttern, Wickeln, Herumtragen– aber die Glückseligkeit, die Erwartung, das Staunen eines Neugeborenen, die fehlten. Trotzdem liebte sie ihn immer noch. Sie küsste ihn zärtlich.
» Hi Gramps«, sagte sie. » Danke für die Rezepte.« Sie setzte sich ans Fußende des Bettes. » Ich freue mich immer, wenn du mir eines schickst.«
Und das stimmte wirklich. Abgesehen von Weihnachtskarten hatte ihr seit zehn Jahren niemand mehr einen handgeschriebenen Brief geschickt. Wahrscheinlich kauften die Leute deshalb so viel im Internet ein, überlegte sie, damit sie sich auf ein Paket freuen konnten.
Issy sah ihren Grampa an. Direkt nach seinem Einzug hatte er einen kleinen Anfall gehabt und war medikamentös neu eingestellt worden. Er war häufig nicht mehr ganz da, die Pfleger hatten ihr jedoch versichert, dass er sie hören konnte und es gut für ihn war, wenn sie mit ihm sprach. Zunächst war sie sich dabei total idiotisch vorgekommen. Aber irgendwann war ihr klar geworden, dass diese Monologe etwas Friedliches an sich hatten– ein bisschen wie eine Therapie, dachte sie. Diese Art von Therapie, bei der der Therapeut selbst gar nichts sagt, sondern nur gelegentlich nickt und sich Notizen macht.
» Wie auch immer«, hörte sie sich sagen– als wollte sie die Worte ausprobieren, nur um zu hören, wie sie klangen, » ich denke darüber nach… Ich denke darüber nach, etwas Neues anzufangen. Ein kleines Café zu eröffnen. Die sind heutzutage sehr beliebt. Die Leute haben die Nase voll von all den Ketten. Na ja, das stand zumindest mal in einer Sonntagsbeilage.
Meine Freunde
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