Traummoerder
eine Lüge tausend Meter gegen den Wind.
Eine ganze Weile herrschte Schweigen, während Dermot überlegte, was er sagen sollte.
Reggie hörte knirschende Schritte näher kommen und dann die Stimme. »Ich öffne jetzt den Kofferraum, Reggie. Mach die Augen zu. Ich möchte nicht, dass du in Panik gerätst.« Es war eine tiefe, heisere und vertraute Stimme. Wo hatte er sie schon gehört?
Reggie folgte der Anweisung, als der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde – jetzt hatte er Angst. Als er die sengende Hitze der Sonne auf der Haut spürte, verlor er die Kontrolle über seine Blase.
»Kenne ich Sie?«, keuchte er, als ihn starke Arme aus seinem Gefängnis hoben. »Habe ich Ihnen irgendetwas angetan?«
Keine Antwort. Reggie hätte so gern die Augen geöffnet, um zu sehen, wer ihn über den, dem Klang nach, Kiesweg trug.
Aber natürlich konnte er das nicht. Hätte er es getan und die Weite der Landschaft gesehen, wäre er vermutlich erst richtig ausgeflippt.
»Dies hat nichts mit dir zu tun, Reggie«, erklärte die heisere Stimme. »Überhaupt nichts.«
Der Mann trug ihn weiter.
»Aber das hat es! Alles hat mit mir zu tun.«
Der Mann schwieg eine Weile, dann erklärte er: »Na ja, natürlich – da du sterben wirst, hat es ein wenig mit dir zu tun. Aber wir alle müssen irgendwann sterben. Stimmt’s? Ja. Und deine Zeit ist gekommen. So einfach ist das.«
Jetzt wusste Reggie, dass er mit einem Geistesgestörten diskutieren musste.
»Wieso sagen Sie, dass es nichts mit mir zu tun hat?«
»Weil du ein zufälliges Opfer bist, Reggie. Die meisten anderen waren das nicht. Sie haben mich ›verletzt‹. Du hast das nicht gemacht.«
»Warum wollen Sie mich dann …«, Reggie brachte es kaum über sich, das Wort auszusprechen, »… töten? Nur aus Spaß?«
»Weil du Teil meiner Geschichte bist.«
»Welcher Geschichte?«
»Das wirst du nie erfahren. Du wirst nicht mehr am Leben sein. Es sei denn natürlich, du hast mein Tagebuch gelesen.«
»Tagebuch? Was für ein Tagebuch?«
»Worst Nightmares . Hast du das Buch gelesen?«
Reggie überlegte fieberhaft. Er musste denken, und das schnell! Es wäre hilfreich, wenn er eine Art Harmonie mit seinem Entführer herstellen könnte. War dies eine Stockholm-Syndrom-Situation? Oder war es umgekehrt – entwickelte da das Opfer eine Art Liebe zum Entführer?
»Worst Nightmares ? Ja, ich habe von diesem Buch gehört. Aber gelesen habe ich es nicht.«
»Du bist ein Teil dieses Buches. Ein Jammer, dass du es nicht gelesen hast, dann wüsstest du jetzt, was dich erwartet – andererseits ist es vielleicht besser, wenn du es nicht weißt.«
»Ihre Stimme … ich erinnere mich, Ihre Stimme schon einmal gehört zu haben.«
»Das stimmt. Wir haben uns schon mal unterhalten.«
»Verraten Sie mir, wann und wo? Können Sie mir sagen, wer Sie sind?«
»Ich bin der Traumheiler, Reggie. Und ich habe vor, deinen schlimmsten Albtraum zu verscheuchen. Ich werde dir den ewigen Frieden bringen.«
Reggie schrie. Er konnte nicht anders. Jetzt war ihm klar, dass ihn sein Entführer foltern würde, bis ihn ein schrecklicher Tod ereilte.
Der Mann blieb abrupt stehen und legte ihn auf die festgebackene rote Erde. Reggie Helpmann riss die Augen auf und stieß einen Schmerzensschrei aus. Die steinharte Erde unter ihm versengte ihm die Haut – sie war heiß wie ein Grillrost. Augenblicklich kniff Reggie die Augen wieder zu – dies war sein schlimmster Albtraum.
Er schrie immer noch, als ihm eine dünne, aber solide Kette um den Hals gelegt wurde, die der Folterknecht mit Hilfe eines Vorhängeschlosses an einer viel dickeren Kette befestigte, die zu einem Betonblock führte.
»Ich habe nicht die Absicht, dir heute noch mehr Schmerzen zu bereiten. Ich möchte dich nur eine Weile beobachten. Ich führe ein Experiment durch, verstehst du?«
Grenzenlose Erleichterung durchflutete Reggie. Er hatte damit gerechnet, ein Messer an seiner Kehle zu fühlen.
»Ich werde jetzt die Fesseln an deinen Händen und Knöcheln aufschneiden. Sobald du versuchst, gegen mich zu kämpfen, werde ich dich töten. Also denk nicht mal daran.«
»Ich verspreche es«, erwiderte Reggie.
Der Traumheiler schnitt die Schnüre an Händen und Füßen auf – eine Wohltat für Reggie. Die Blutzirkulation war nicht mehr abgeschnürt.
Dann hörte er Schritte, die sich entfernten. Das Geräusch wurde leiser und leiser, bis er nichts mehr hörte. Absolut nichts. Nicht einmal einen Vogel. Eine solche Ruhe hatte er
Weitere Kostenlose Bücher