Traummoerder
die DNA-Analyse vornehmen, und es kam zu einer Übereinstimmung. Der Mann, der in den Tod gesprungen war – oder den man gestoßen hatte –, war tatsächlich Christopher Sheldon gewesen.
Doch wenn Sheldon geistig zurückgeblieben war, konnte er das Manuskript kaum selbst geschrieben haben – jemand musste ihm geholfen haben, und der könnte der wahre Mörder sein. Oder ein Komplize. Eine alternative Theorie war, dass Nolan die ganze Zeit gelogen hatte. Er hatte Sheldon dafür bezahlt, dass er das Manuskript in den Briefkasten steckte – ein Manuskript, das Nolan selbst geschrieben hatte. Auf diese Weise wollte er beweisen, dass das Tagebuch von jemand anderem stammte. Danach hatte er Sheldon umgebracht, um die Spuren und die Wahrheit zu verwischen.
Als Erstes setzte Willis das Büro der Staatsanwaltschaft über die Neuigkeit in Kenntnis, und sie ließ Goode persönlich eine Nachricht zukommen. Die Neuigkeit verursachte Aufruhr im Gerichtssaal und dann auch im Presseraum. Auf den Plasma-Bildschirmen war der Gerichtsdiener zu sehen, der Goode die Nachricht überbrachte. Es war augenblicklich klar, dass sich etwas Bedeutendes tat. Die Journalisten griffen nach ihren Handys. Goode erhob sich und bat um die Erlaubnis, sich dem Richterpult zu nähern. Dann beantragte er eine Vertagung, da neue Hinweise ans Licht gekommen seien – Hinweise, die er der Verteidigung zugänglich machen musste.
Während die Journalisten im Presseraum mit ihren Redaktionen telefonierten, ging Schipps Sensationsmeldung bereits durch alle Fernsehkanäle. Die Konsequenzen waren offensichtlich. Nolan musste die ganze Zeit schon gelogen haben. Bei den Verhören hatte er angedeutet, dass Arnold intelligent war, auch wenn er eigenartig sprach – das war eine Lüge. »Arnold«, der eigentlich Sheldon hieß, war auf dem geistigen Stand eines Kindes stehen geblieben.
Leadbeater und Fountain hielten eine Krisenbesprechung ab. Ihre Verteidigungsstrategie war nicht mehr glaubwürdig, die Identifizierung von Sheldon warf eine Menge unangenehmer Themen auf. Ihr Mandant hatte der Polizei erklärt, dass er diesen Sheldon getroffen und für ganz normal, wenn auch ein wenig exzentrisch gehalten habe. Und bei dem ersten Telefonat hatte er ihn »intellektuell aufgeweckt« gefunden. Aber das konnte gar nicht stimmen. Also hatte Nolan gelogen oder sich schlichtweg geirrt. Oder war es möglich, dass er am Telefon mit jemand anderem gesprochen hatte? So etwas konnte man in einem so fortgeschrittenen Gerichtsverfahren kaum glaubhaft machen. Würden die Geschworenen glauben, dass ein intelligenter Mann wie Nolan einer geistig behinderten Person wie Sheldon, die die meiste Zeit ihres Lebens in einer Einrichtung zugebracht hatte, begegnet war und nicht bemerkt hatte, dass er das Gemüt eines Kindes hatte?
Leadbeater war überzeugt, dass Schipp die Information von dem Serienmörder selbst bekommen hatte, aber Schipp würde das niemals zugeben. Also wie konnten Leadbeater und Fountain ihre Strategie radikal ändern, um dieser neuen Entwicklung gerecht zu werden?
Während die beiden Strafverteidiger Schadensbegrenzung betrieben, leckte sich Goode die Lippen und freute sich auf das, was vor ihm lag. Er fuhr früh nach Hause – morgen würde er seinem Opfer den Coup de grâce versetzen.
Dermot Nolan war erledigt.
Kapitel 64
Kandinski hatte versucht, Hansen erst per Polizeifunk, dann auf dem Handy zu erreichen. Ohne jeden Erfolg. Also entschied er sich, entgegen der gängigen Praxis die Informationen, die er von dem flüsternden Mann erhalten hatte, selbst zu überprüfen.
»Ich kann Ihnen zeigen, warum Nolan getan hat, was er getan hat«, hatte die Stimme geflüstert. »Treffen Sie mich auf dem Dach des Straften Building.«
Das Stratten Building stand seit Jahren leer. Früher war es Teil eines Klinikkomplexes gewesen. Aber als das Krankenhaus in neue Gebäude umzog, wurde das Stratten einfach abgeschlossen und dem Verfall überlassen. Kandinski war es keineswegs entgangen, dass das Stratten nicht weit weg vom Haus der Nolans lag.
Von der Straße aus warf Kandinski einen Blick auf Dermots Haustür, dann hinauf auf das Dach des Stratten Building. Schließlich ging er die Feuertreppe hinauf – es war ein langer Weg, doch hoffentlich aller Mühen wert.
Es war zugig auf dem Dach – ein kräftiger Südwind war aufgekommen, und die Temperatur war in den letzten Minuten merklich gesunken.
Kandinski schritt die gesamte Länge des Daches und die Seite ab, die zu
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