Traumpfade
neues Lebewesen, eines neuen Linnéschen Namens würdig.
Die »Springer« dagegen bestehen darauf – ausgehend von den brutalen Veränderungen im zwanzigsten Jahrhundert –, daß jede Spezies eine Entität mit einem abrupten Anfang und einem abrupten Ende sei und daß die Evolution in kurzen explosionsartigen Tumulten fortschreite, denen lange Perioden der Muße folgten.
Die meisten Evolutionisten glauben, daß das Klima ein Motor evolutionärer Veränderungen sei.
Die Arten sind im großen und ganzen konservativ und widerstehen Veränderungen. Wie Partner in einer nicht mehr intakten Ehe machen sie immer weiter, machen hier und da kleinere Zugeständnisse, bis es zum Ausbruch kommt, über den hinaus sie sich nicht mehr verständigen können.
Bei einer Klimakatastrophe, bei der ihr Habitat in alle Richtungen versprengt wird, kann eine kleine Brutgemeinschaft von ihren Artgenossen getrennt werden und in einer isolierten Nische landen, meistens am äußersten Rand des Gebiets ihrer Vorfahren, wo sie sich verwandeln oder aussterben muß.
Der »Sprung« von einer Spezies zur nächsten geschieht, wenn er erfolgt, schnell und säuberlich. Plötzlich reagieren die Neuankömmlinge nicht mehr auf die alten Lockrufe. Sobald diese »Vereinzelungsmechanismen« eingefahren sind, kann es keine genetische Umkehr mehr geben, keine Aufgabe neuerworbener Eigenschaften, keinen Weg zurück.
Manchmal können die neuen Arten, durch die Veränderung gestärkt, ihre früheren Lager wieder besiedeln und ihre Vorgänger verdrängen.
Der Prozeß des »Springens« in der Vereinzelung ist »allopatrische Artenbildung« (Artenbildung »in einem anderen Land«) genannt worden und erklärt, warum, während Biologen zahllose Varianten – Körperumfang oder Pigmentierung – innerhalb einer Spezies entdecken, noch nie eine Zwischenform zwischen einer Spezies und der nächsten gefunden wurde.
Das Forschen nach der Abstammung des Menschen mag sich demnach als Jagd auf eine Chimäre herausstellen.
Die für das »Springen« erforderliche Vereinzelung kann, so scheint es, ebensogut an einem Migrationsweg entlang erfolgen, der letztlich ein zu einer ununterbrochenen Linie gesponnenes Territorium ist – so wie man geschorene Wolle zu Garn spinnt.
Während ich über das Vorstehende nachdachte, überraschte mich die Ähnlichkeit zwischen »Allopatrie« und den Schöpfungsmythen der Aborigines, in denen jedes einzelne totemistische Wesen in Vereinzelung an einem bestimmten Punkt auf der Karte geboren wird und sich von dort aus in Linien über das ganze Land ausbreitet.
Alle Arten müssen irgendwann »springen«, aber manche springen leichter als andere. Elizabeth Vrba zeigte mir Diagramme, auf denen sie die Abstammung von zwei verwandten Antilopenarten dargestellt hatte, der Alcephalini und Aepycerotini, die einen gemeinsamen Vorfahren im Miozän hatten.
Die Alcephalini, zu deren Familie das Wildebeest und das Hartebeest gehören, haben »spezialisierte« Zähne und Mägen für die Ernährung in Dürregebieten und in den vergangenen sechseinhalb Millionen Jahren rund vierzig Arten hervorgebracht. Die Impala, eine Angehörige der Aepycerotini, eine »Generalistin« mit der Fähigkeit, unter den verschiedensten Klimabedingungen zu leben, hat sich bis auf den heutigen Tag nicht verändert.
Evolutionärer Wandel, sagte sie, sei früher als großer Erfolg begrüßt worden. Heute wissen wir es besser: erfolgreich sind die, die überdauern.
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Die wirklich wichtige Neuigkeit ist, daß wir einem ausgesprochen dauerhaften Geschlecht angehören.
Die Vorfahren des Menschen waren »Generalisten«: unbezwingbare, erfindungsreiche Lebewesen, die sich im selben Zeitraum wie die Impala oft genug aus der Klemme ziehen mußten, ohne bei jeder Gelegenheit eine Artenveränderung durchzumachen. Daher kann man, wenn man einen größeren Strukturwandel in der Hominidenlinie findet, davon aus gehen, daß ein gewaltsamer Druck von außen dafür verantwortlich gemacht werden muß. Und auch, daß unser moralisches, instinktives Rückgrat weitaus stärker ist, als bisher angenommen wurde.
Seit Ende des Miozäns hat es tatsächlich nur zwei solcher größeren »Vorwärtssprünge« gegeben, die durch einen zeitlichen Abstand von rund vier Millionen Jahren voneinander getrennt waren – den ersten im Zusammenhang mit dem Australopithecus, den zweiten mit dem Menschen:
Die Umbildung von Becken und Fuß von denen des sich durch Schwinghangeln fortbewegenden Waldaffen
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