Traumpfade
nach ihrer Mahlzeit zurückläßt.
Hinsichtlich der Seltenheit von Hominidenfossilien – ausgenommen den bewußten Schädel und die Kinnladen – stellte Brain fest, daß ein Gepard, der einen Pavian frißt, den größten Teil des Skeletts zermalmt, bis auf die Extremitäten und den Schädel. Die geringfügige »Verstümmelung«, die hin und wieder an der Schädeldecke festgestellt wurde, ließ sich durch die Angewohnheit des Tieres erklären, die Hirnschale an ihrer dünnsten Stelle (dem foramen magnum ) aufzubrechen und dann den Inhalt auszulecken.
Das Skelett eines Primaten ist viel zerbrechlicher und verdaulicher als das einer Antilope.
*
Alle Raubkatzen töten mit einem Nackenbiß – das haben sie mit der Axt des Henkers, der Guillotine und der Garrotte gemein. In seinen Betrachtungen zur Todesstrafe erinnert sich Camus, wie sein Vater, ein gestandener Kleinbürger aus Oran, von einem grausamen Mord dermaßen schockiert war, daß er der öffentlichen Hinrichtung des Mannes beiwohnte – und wegging, weil ihm hoffnungslos übel wurde.
*
Das Gefühl, von einer Raubkatze schlimm zugerichtet zu werden, kann, wie wir aufgrund der Begegnung Dr. Living stones mit einem Löwen wissen, etwas weniger grauenhaft sein, als man es sich gemeinhin vorstellt. »Es war eine Art von Erstarrung«, schrieb er, »bei der ich kein Gefühl von Schreck oder Schmerz empfand, gleichwohl aber das vollkommene Bewußtsein all dessen hatte, was mit mir vorging. Der Zustand war dem eines Patienten ähnlich, der, unter dem Einfluß des Chloroforms, zwar alle Einzelheiten der Operation wahrnimmt, allein das Messer des Chirurgen nicht fühlt. Diese Furchtlosigkeit ging keineswegs aus einer inneren sittlichen Kraft hervor; nur das Schütteln hatte die Furcht benommen und ließ mich ohne Entsetzen der Bestie ins Gesicht blicken. Ein derartiger Zustand tritt wahrscheinlich bei allen Tieren ein, die den Fleischfressern zur Beute dienen …« (David Livingstone, Reisen in Südafrika)
*
Transvaal-Museum, Pretoria
Ein Nachmittag mit Dr. Elizabeth Vrba, einer Paläontologin und Brains erster Assistentin – und eine faszinierende Erzählerin! Wir saßen auf dem Boden des sogenannten Roten Raums und faßten mit weißen Handschuhen so berühmte Fossilien wie »Mrs. Ples« an: ein beinahe intakter Schädel eines A. africanus, den der verstorbene Robert Broom in den dreißiger Jahren fand.
In der einen Hand den zerbrechlichen Kieferknochen des africanus und in der anderen die riesigen Mahlzähne des robustus zu halten, das war, als hätte man den Huf eines Shetlandponys und den eines Shire-Pferds in den Händen.
Die Fossilien im Sterkfontein-Tal sind alle späten Datums, verglichen mit denen aus Kenia und Äthiopien, wo die archaische Zwergenform des Australopithecus, A. afarensis (das aufgefundene Exemplar ist »Lucy«), nach heutigen Erkenntnissen vor rund sechs Millionen Jahren aufrecht ging. Die frühesten »Südafrikaner« sind nach dem bisherigen Stand der Forschung ungefähr halb so alt.
Elizabeth Vrba zeigte mir, wie die drei Formen des Australopithecus drei Stadien einer Evolutionskette darstellen und wie sie immer größer und muskulöser werden als Reaktion auf Lebensbedingungen in einem zunehmend trockeneren und ungeschützteren Gebiet.
An welchem Punkt der erste Mensch von dieser Linie abzweigt, ist eine Frage, über die sich die Experten ad infinitum streiten werden. Jeder Wissenschaftler, der Feldforschung betreibt, will IHN finden. Aber, so warnte Brain: »Ein schönes Fossil zu finden und seine Karriere darauf zu begründen, bedeutet, das Fossil nicht mehr zu sehen.«
Tatsächlich taucht rund zweieinhalb Millionen Jahre später in Ostafrika eine kleine, geschmeidige Kreatur mit erstaunlich entwickelten Stirnlappen auf. In allen drei Stadien des Australopithecus bleibt das Verhältnis von Körpergröße und Gehirn konstant. Beim Menschen kommt es zu einer plötzlichen Explosion.
*
Elizabeth Vrba hat eine Reihe wissenschaftlicher Abhandlungen über die Geschwindigkeit evolutionärer Veränderungen geschrieben, die international Anerkennung fanden. Sie hat mein Bewußtsein für die Debatte zwischen den »Gradualisten« und den »Springern« geschärft.
Orthodoxe Darwinisten glauben, die Evolution schreite in gleichmäßiger Kontinuität fort. Jede Generation unterscheide sich unmerklich von der ihrer Eltern, und wenn die Unterschiede sich häuften, kreuze die Spezies eine genetische »Wasserscheide«, und es entstehe ein
Weitere Kostenlose Bücher