Traumpfade
Verteidigungseinheit.
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Der verstorbene C.W. Peck hat einen Mythos aus dem Westen von New South Wales über den Ursprung von Waffen überliefert. Ich glaube, daß er universale Gültigkeit besitzt:
Vor langer Zeit, als die Menschen keine Waffen hatten und sich gegen die wilden Tiere nicht wehren konnten, gab es eine große Sippe, die am Zusammenfluß von Lachlan und Murrumbidgee ihr Lager hatte. Es war ein heißer Tag. Luftspiegelungen ließen die Landschaft verschwimmen, und alle Menschen ruhten im Schatten. Plötzlich wurden sie von einer Herde Riesenkänguruhs angegriffen, die ihre Opfer mit ihren gewaltigen Armen zerdrückten. Die Menschen flohen in Panik, und wenige überlebten.
Doch zu den Überlebenden gehörte der Häuptling, der eine Sitzung einberief, um die Möglichkeiten der Verteidigung zu erörtern. Bei dieser Sitzung geschah es, daß die Menschen Speere, Schilder, Keulen und Bumerange erfanden. Und weil viele der jungen Frauen in der Hast ihre Babys fallen gelassen hatten, waren sie es, die die nützliche Borkenwiege erfunden haben.
Die Geschichte geht mit der Beschreibung weiter, wie der klügste der Männer sich mit Fett und Sand tarnte, sich an die Känguruhs heranschlich und sie mit Feuer vertrieb.
Im prähistorischen Australien gab es Riesenkänguruhs – und sie müssen gefährlich gewesen sein, wenn sie in die Enge getrieben wurden –, aber sie waren keine Raubtiere, keine Angreifer.
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Was die jungen Helden angeht, so konnten sie sich nur »ertüchtigen« durch ein ausgesprochen hartes Training untereinander: durch Ringen, Kämpfen und die Kunst, mit Waffen umzugehen. Die Jugend ist die »Sparring«-Zeit. Danach wird – oder sollte – alle Feindseligkeit nach außen auf den Feind gelenkt werden.
Die »Kriegerjungen« sind diejenigen, die nie erwachsen werden.
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Niger
Die Directrice des Campement war eine Französin namens Madame Marie mit goldfischfarbenem Haar, die keine Weißen mochte. Sie war von ihrem Mann geschieden, weil sie mit Schwarzen ins Bett gegangen war, und hatte eine Villa, einen Mercedes und einen Swimmingpool en forme de rognon verloren, ihren Schmuck jedoch mitgenommen.
Am dritten Abend meines Aufenthalts organisierte sie eine soirée musicale, bei der Anou et ses Sorciers Noirs und sie selbst, Marie et son Go, als gleichberechtigte Attraktionen auftraten. Als die Show vorbei war, nahm sie einen der Zauberer mit ins Bett, und um halb drei hatte sie einen Herzinfarkt. Der Zauberer kam aus dem Schlafzimmer gerannt und schnatterte: »Ich habe Madame nicht angerührt.«
Am nächsten Tag widersetzte sie sich den Versuchen ihres Arztes, sie ins Krankenhaus zu schicken, und lag auf ihrem Bett, ohne jede Schminke, blickte nach draußen über das Dornengestrüpp hinweg und stöhnte: »La lumière … Oh! la belle lumière …«
Gegen elf kamen zwei junge Bororo. Sie trugen kurze Damenröcke und Strohhüte und sahen neckisch aus.
Die Bororo sind Nomaden, die den Sahel durchwandern. Sie hegen eine tiefe Verachtung für materiellen Besitz und konzentrieren ihre sämtlichen Energien und Gefühle auf die Zucht ihrer schönen Rinder mit den lyraförmigen Hörnern und auf die Pflege ihrer eigenen Schönheit.
Die Jungen – der eine mit dem Bizeps eines Gewichthebers, der andere schlanker und schön – waren gekommen, um Marie zu fragen, ob sie etwas Schminke übrig habe.
»Mais sûrement …« rief sie aus dem Schlafzimmer, und wir gingen alle zusammen hinein.
Sie griff nach ihrem Schminkkoffer, schüttete den Inhalt über der Bettdecke aus und sagte hin und wieder: » Non, pas ça! « Trotzdem nahmen die Jungen jeden Farbton von Lippenstift, Nagellack, Lidschatten und Augenbrauenstift an sich. Sie wickelten ihre Beute in ein Kopftuch. Sie gab ihnen ein paar alte Ausgaben der Zeitschrift Elle. Dann schlurften sie mit ihren Sandalen über die Terrasse und rannten lachend davon.
»Es ist für ihre Zeremonie«, sagte mir Marie. »Heute abend werden sie beide Männer. Das müssen Sie sehen! Un vrai spectacle.«
»Das muß ich sehen!« sagte ich.
»Eine Stunde vor Sonnenuntergang«, sagte sie. »Vor dem Palast des Emirs.«
Auf dem Dach des Palastes hatte ich einen Logenplatz mit Blick in den Hof, wo drei Musiker spielten: ein Flötenspieler, ein Trommler und ein Mann, der an einem Instrument mit drei Saiten zupfte, dessen Resonanzboden aus einer Kalebasse gemacht war.
Der Mann, der neben mir saß, ein ancien combattant, sprach gut Französisch.
Ein Zeremonienmeister
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