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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Und das wird mindestens dreihundert Dollar kosten. Es ist ein Jammer.«
    Winston, der die Arme hatte sinken lassen, schlang sie wieder um sein Gesicht und zeigte der Händlerin nichts außer der Stirn.
    »Es ist ein Jammer«, wiederholte sie.
    Die Zuschauer starrten auf die Leinwand, als betrachteten sie eine Leiche.
    Mrs. Houstons Kinn begann zu zucken. Sie war zu weit gegangen, und sie würde einen versöhnlicheren Ton anschlagen müssen.
    »Aber es ist ein schönes Bild, Winston«, sagte sie. »Es wird gut in unsere Wanderausstellung passen. Ich habe dir doch gesagt, daß wir eine Sammlung zusammenstellen, nicht wahr? Von den besten Pintupi-Malern? Nicht wahr? Hörst du mich?«
    Ihre Stimme klang ängstlich. Winston blieb stumm.
    »Hörst du mich?«
    »Jaah«, sagte er in schleppendem Ton und ließ die Arme sinken.
    »Na, dann ist ja alles in Ordnung, nicht wahr?« Sie versuchte zu lachen.
    »Jaah.«
    Sie nahm einen Block und einen Bleistift aus ihrer Umhängetasche.
    »Und wie geht die Geschichte, Winston?«
    »Welche Geschichte?«
    »Die Geschichte des Bildes.«
    »Ich habe es gemalt.«
    »Ich weiß, daß du es gemalt hast. Ich meine, welche Traumgeschichte hat es? Ein Bild ohne Geschichte kann ich nicht verkaufen. Das weißt du!«
    »Ich?«
    »Du.«
    »Alter Mann«, sagte er.
    »Danke.« Sie begann, etwas auf den Block zu kritzeln. »Das Bild ist also der Traum eines alten Mannes?«
    »Jaah.«
    »Und?«
    »Und was?«
    »Der Rest der Geschichte.«
    »Welche Geschichte?«
    »Die Geschichte des alten Mannes«, sagte sie wütend. »Was tut der alte Mann?«
    »Er geht«, sagte Winston, der eine doppelte gepunktete Linie in den Sand zeichnete.
    »Natürlich geht er«, sagte sie. »Wohin geht er?«
    Winston sah mit hervorquellenden Augen auf die Leinwand und blickte zu seinem »Polizisten« hoch.
    Bobby zwinkerte.
    »Ich habe dich gefragt«, sagte Mrs. Houston, wobei sie jede Silbe betonte. » Wohin geht der alte Mann?«
    Winston kniff die Lippen zusammen und schwieg.
    »Nun, und was ist das?« Sie zeigte auf einen der weißen Kreise.
    »Salzpfanne«, sagte er.
    »Und das?«
    »Salzpfanne.«
    »Das da?«
    »Salzpfanne. Sind alles Salzpfannen.«
    »Der alte Mann geht also über Salzpfannen?«
    »Jaah.«
    »Nicht viel dran an der Geschichte!« Mrs. Houston zuckte die Achseln. »Was ist mit den Schnörkeln in der Mitte?«
    »Pitjuri«, sagte er.
    Pitjuri ist ein mildes Narkotikum, das Aborigines kauen, um den Hunger zu verdrängen. Winston rollte Kopf und Augen von einer Seite zur anderen, wie ein Mann auf einem Pitjuritrip. Die Zuschauer lachten. Mrs. Houston lachte nicht.
    »Verstehe«, sagte sie. Dann dachte sie laut vor sich hin und machte sich Notizen über die Geschichte: »Der uralte Ahne mit dem weißen Bart, der vor Durst umkommt, schleppt sich über eine glitzernde Salzpfanne nach Hause und findet am anderen Ufer eine Pitjuri pflanze …«
    Sie steckte den Bleistift zwischen ihre Lippen und sah mich beifallheischend an.
    Ich lächelte zuckersüß.
    »Ja, das ist hübsch«, sagte sie. »Das ist ein hübscher Anfang.«
    Winston hatte den Blick von der Leinwand abgewendet und heftete ihn nun auf sie.
    »Ich weiß«, sagte sie. »Ich weiß ! Jetzt müssen wir uns auf den Preis einigen, nicht wahr? Wieviel habe ich dir das letztemal gegeben?«
    »Fünfhundert Dollar«, sagte er säuerlich.
    »Und wieviel Vorschuß habe ich dir diesmal gegeben?«
    »Zweihundert.«
    »Das ist richtig, Winston. Genauso ist es. Nun, jetzt haben wir den Schaden, der repariert werden muß. Ziehen wir einmal einhundert für den Schaden ab, und ich zahle dir weitere dreihundert? Das sind hundert mehr als bisher. Dann sind wir quitt.«
    Winston rührte sich nicht.
    »Und ich muß ein Foto von dir machen«, zwitscherte sie weiter. »Ich glaube, du ziehst dir besser etwas über. Wir brauchen ein hübsches neues Foto für den Katalog.«
    »Nein!« brüllte Winston.
    »Was soll das heißen, nein?« Mrs. Houston sah sehr schockiert aus. »Du willst kein Foto von dir machen lassen?«
    »NEIN!« brüllte er noch lauter. »Ich will mehr Geld!«
    »Mehr Geld? Ich … ich … verstehe nicht.«
    »MEHR … GELD!, habe ich gesagt.«
    Sie machte ein betrübtes Gesicht, als hätte sie es mit einem undankbaren Kind zu tun, und sagte dann in eisigem Ton: »Wieviel?«
    Wieder beschirmte Winston sein Gesicht mit den Armen.
    »Wieviel willst du?« beharrte sie. »Ich bin nicht hier, um meine Zeit zu verschwenden. Ich habe meinen Preis genannt. Nenn du

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