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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Volksmärchen, und am Sonntag nahm sie sie in den orthodoxen Gottesdienst mit.
    Ihr Ehemann besaß keine einzige ihrer Fähigkeiten. Früher war er nichts als Muskeln und Rebellion gewesen. Mit zunehmendem Alter schlurfte er durch das Geschäft, stand allen im Weg, betrank sich mit seinem Selbstgebrannten Fusel und brütete schwermütig über der Vergangenheit.
    Er murmelte unzusammenhängendes Zeug von einem Birnbaum im Garten seiner Mutter und von einem Amulett, das er in einer Astgabel versteckt habe. Bäume, sagte er, seien in Australien halb tot. In Rußland gebe es richtige Bäume, die ihr Laub abwarfen und wieder lebendig wurden. Eines Abends traf Arkadys Bruder Petró ihn dabei an, wie er ihre Norfolk-Island-Kiefer abhackte. Da wußten sie, daß es schlimm um ihn stand.
    Über die sowjetische Botschaft in Canberra erhielten sie die Genehmigung für ihn und Petró, zurückzukehren und sein Heimatdorf Gornjatskije zu besuchen. Er sah seine Schwester, den alten Samowar, Weizenfelder, Birken und einen träge fließenden Fluß. Der Birnbaum war seit langer Zeit abgesägt und zu Brennholz verarbeitet worden.
    Auf dem Friedhof entfernte er die Kletten vom Grab seiner Eltern und saß da und lauschte dem Quietschen der rostigen Wetterfahne. Nach Einbruch der Dunkelheit sangen alle, und seine Neffen spielten abwechselnd die Familien-Bandura. Am Tag vor ihrer Abreise brachte ihn der KGB zum Verhör nach Rostow. Sie gingen immer wieder sein Dossier durch und stellten eine Menge verfänglicher Fragen nach dem Krieg.
    »Vater«, sagte Arkady, »war dieses Mal glücklicher, Wien zu sehen, als beim ersten Mal.«
    Das war vor sieben Jahren gewesen. Jetzt wünschte er sich wieder sehnlichst, nach Rußland zurückzukehren. Er sprach jetzt von nichts anderem als dem Grab in Gornjatskije. Sie wußten, daß er dort sterben wollte, aber sie wußten nicht, wie sie es bewerkstelligen sollten.
    »Selbst als Angehöriger der westlichen Welt«, sagte ich, »verstehe ich, wie ihm zumute sein muß. Sobald ich in Rußland bin, kann ich es nicht abwarten, wieder wegzukommen. Und dann kann ich es nicht abwarten, wieder zurückzukehren.«
    »Sie mögen Rußland?«
    »Die Russen sind ein wunderbares Volk.«
    »Das weiß ich«, sagte er scharf. »Warum?«
    »Schwer zu sagen«, sagte ich. »Ich denke gern an Rußland als an ein Land der Wunder. Gerade wenn man das Schlimmste befürchtet, geschieht immer etwas Wunderbares.«
    »Zum Beispiel?«
    »Kleine Dinge meistens. Die Bescheidenheit in Rußland ist grenzenlos.«
    »Ich glaube Ihnen«, sagte er. »Kommen Sie. Wir machen uns besser auf den Weg.«

10
    E s war eine klare, mondhelle Nacht. Nur bei Mondlicht war es gefahrlos, die Abkürzung durch den Todd zu nehmen. Die Aborigines hatten die Angewohnheit, ihren Rausch im Flußbett auszuschlafen. In pechschwarzen Nächten riskierte man, einem von ihnen, der gefährlich betrunken sein mochte oder auch nicht, über den Weg zu laufen.
    Die Stämme der Geistereukalyptusbäume schimmerten weiß: mehrere der Bäume waren bei Überschwemmungen in vergangenen Jahren entwurzelt worden. Wir sahen auf der anderen Seite des Flusses das Kasino und die Scheinwerfer von Autos, die dorthin fuhren. Der Sand war locker und körnig, und wir versanken darin bis über die Knöchel. Am anderen Ufer tauchte eine zerzauste Gestalt aus den Büschen auf, murmelte: »Arschlöcher!« und sank zurück. Ein dumpfes Geräusch, Zweige knackten.
    »Harmlos betrunken!« sagte Arkady.
    Er ging voran, am Kasino vorbei durch eine Straße mit neu erbauten Häusern. An den Dächern klemmten Solarpaneele, und in den Auffahrten parkten Campingwagen. Ganz hinten am Ende der Straße stand quer zu den anderen ein altes, baufälliges Haus aus der Pionierzeit, mit einer großen Veranda und Fliegengittern. Aus dem Garten kam der Geruch von blühendem Jasmin und brutzelndem Fett.
    Ein graubärtiger Mann, der Bill hieß, grillte mit nacktem Oberkörper und schweißüberströmt Steaks und Würstchen auf einem Holzkohlenrost.
    »Hallo, Ark!« Er schwenkte eine Gabel in der Luft.
    »Hallo, Bill«, sagte Arkady. »Das ist Bruce.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Bruce«, sagte Bill hastig. »Holt euch was zu essen.«
    Bills blonde Frau Janet saß hinter einem aufgebockten Tisch und servierte Salat. Sie hatte einen eingegipsten Arm. Auf dem Tisch standen verschiedene Flaschen Wein und eine mit Eis und Dosenbier gefüllte Kunststoffwanne.
    Die Nachtfalter schwirrten um ein paar Sturmlampen.
    Die

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