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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Das Problem bei seiner Verteidigung war, daß er nicht betrunken, sondern berauscht war.«
    »Wovon?«
    »Von Amphetaminen, der arme Kerl! Hatte seit fünf Tagen kein Auge zugetan. All diese Fernfahrer ernähren sich von Amphetaminen! Stecken sie wie Bonbons in den Mund! Eins, zwei, drei, vier, fünf, und hurra ! – schon haben sie abgehoben. Kein Wunder, daß er ein bißchen high war!«
    »Ist das bei Gericht zur Sprache gekommen?«
    »Die fünf Tage – ja; die Amphetamine – nein.«
    »Und warum nicht?«
    »Das Wort darf nicht in den Mund genommen werden! Amphetamine und das Fernfahrergewerbe? Unaussprechbar! Stellen Sie sich vor, es würde eine Untersuchung geben. Amphetamine sind die Antwort dieses Landes auf Entfernungen. Ohne sie würde sich hier gar nichts mehr tun.«
    »Es ist ein unheimliches Land«, sagte ich.
    »Das stimmt.«
    »Unheimlicher als Amerika.«
    »Und ob!« stimmte er mir zu. »Amerika ist jung ! Jung, unschuldig und grausam. Aber dieses Land ist alt. Alter Felsen! Da liegt der Unterschied! Alt, müde und weise. Und absorbierend! Einerlei, was man über ihm ausschüttet, alles wird absorbiert.«
    Er zeigte mit seinem dünnen weißen Arm auf die gesunden, sonnengebräunten Menschen auf dem Rasen. »Sehen Sie sie an!« sagte er. »Sie glauben , sie seien jung. Aber sie sind es nicht, bestimmt nicht. Sie sind alt . Alt auf die Welt gekommen!«
    »Nicht Arkady« widersprach ich. »Arkady kommt mir nicht alt vor.«
    »Ark ist die Ausnahme«, sagte er. »Ark muß vom Himmel gefallen sein. Aber alle anderen sind alt«, fuhr er fort. »Sind Ihnen schon einmal die Augenlider von jungen Leuten in diesem Land aufgefallen? Es sind die Augenlider von Alten. Wenn man sie weckt, sehen sie aus wie aufgeschreckte Faune – einen Moment lang! Danach werden sie wieder alt.«
    »Vielleicht ist es das Licht?« meinte ich. »Das grelle Licht Australiens, das einen das Dunkel herbeisehnen läßt.«
    »Ark hat mir erzählt, Sie hätten alle möglichen interessanten Theorien über dieses und jenes. Irgendwann würde ich sie gern hören, aber heute abend bin ich müde.«
    »Ich auch.«
    »Es ist natürlich nicht so, daß ich selbst nicht auch ein paar Lieblingstheorien hätte. Ich nehme an, das ist der Grund, warum ich hier bin.«
    »Ich habe mich das gefragt.«
    »Was?«
    »Was Sie hier tun.«
    »Das frage ich mich selbst, mein Lieber. Jedesmal, wenn ich mir die Zähne putze, stelle ich mir diese Frage. Aber was würde ich in London tun? Steife Dinnerpartys? Hübsche kleine Wohnungen? Nein! Nein! Das wäre nichts für mich.«
    »Aber warum hier?«
    »Ich bin gern hier«, sagte er nachdenklich. »Die Abstraktion, verstehen Sie mich?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Für Beuteltiere geeignet, aber nie für den Menschen gedacht. Das Land, meine ich. Es bringt die Menschen dazu, die sonderbarsten Dinge zu tun. Haben Sie die Geschichte von dem deutschen Mädchen und dem Fahrrad gehört?«
    »Nein.«
    » Höchst interessanter Fall! Nettes, gesundes deutsches Mädchen. Mietet ein Fahrrad in einem Laden in der Todd Street. Kauft ein Schloß in einem Laden in der Court Street. Fährt auf dem Larapinta Drive aus der Stadt hinaus und kommt bis zur Ormiston-Schlucht. Schleppt das Fahrrad durch die Schlucht, was, das wissen Sie, wenn Sie je dort waren, eine übermenschliche Leistung ist. Dann, mitten im absoluten Nichts, kettet sie ihr Bein an den Rahmen, wirft den Schlüssel weg und legt sich zum Bräunen in die Sonne. Der Drang zum Sonnenbaden läßt sie hoffnungslos überschnappen. Ausgerastet ist sie! Total ausgerastet!«
    »Schlimm!«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Versöhnt! Aufgelöst! Das alles gehört zu meiner kleinen Theorie über Australien. Aber ich will Sie jetzt nicht noch länger damit belästigen, denn ich bin wirklich schrecklich müde und sollte längst im Bett sein.«
    »Ich auch«, sagte ich und stand auf.
    » Setzen Sie sich!« sagte er. »Warum müßt ihr Engländer es immer so eilig haben?«
    Er trank einen Schluck Wein. Wir saßen ein, zwei Minuten schweigend da, und dann sagte er verträumt: »Ja, es ist ein wunderbares Land, wie geschaffen, um sich darin zu verlieren. In Australien verloren zu sein gibt einem ein wunderbares Gefühl der Sicherheit.«
    Er sprang auf. »Und jetzt muß ich einfach gehen!« sagte er. »Es war schön, sich mit Ihnen zu unterhalten, und ich bin sicher, daß wir uns wieder unterhalten werden. Gute Nacht!«
    Er ging in Richtung Gartentor davon, nickte allen, an denen er

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