Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
Vom Netzwerk:
sich über jede Gelegenheit, seine überlegene europäische Konstitution zur Schau zu stellen. Die Schwarzen, die wußten, wie er bei Laune zu halten war, zügelten ihre Kräfte, ließen ihn gewinnen, krönten ihn mit dem Siegerkranz und trugen ihn auf ihren Schultern zu seiner Behausung.
    Er verbannte alle Anthropologen, Journalisten und andere Schnüffler aus der Mission. Er verbot »traditionelle« Zeremonien. Mehr als alles andere verübelte er den jungen Männern mit einem gewissen priesterlichen Neid, daß sie fortgingen, um sich Ehefrauen zu suchen. Kaum waren sie fortgegangen, nach Broome oder nach Fitzroy Crossing, führten sie schlimme Reden, holten sich bösartige Krankheiten und fanden Geschmack am Alkohol. Er hatte alles getan, um sie am Fortgehen zu hindern, und so tat er alles, um sie am Zurückkommen zu hindern.
    Die Schwarzen glaubten, daß er absichtlich versuchte, ihre Anzahl zu verringern.
    Ich habe diese beiden Missionen nie besucht: als ich nach Australien kam, waren sie bereits seit sieben Jahren geschlossen. Ich weiß von diesen Vorgängen nur von Pater Terence, der, als Flynn in Boongaree eintraf, etwa eine Meile von der Mission entfernt in einer Hütte aus Laub und Zweigen lebte.
    Pater Villaverde haßte Flynn auf den ersten Blick und setzte ihn allen möglichen Prüfungen aus. Er ließ ihn bis zum Hals durch Hochwasser waten, ließ ihn junge Bullen kastrieren und Latrinen scheuern. Er warf ihm vor, daß er den spanischen Krankenschwestern während des Gottesdienstes schöne Augen machte – dabei waren es natürlich sie, arme Dorfmädchen, die schubweise aus einem Kloster in der Nähe von Badajoz hergeschickt wurden, die ihm schöne Augen machten.
    Eines Tages, als die Spanier einen texanischen Rinder baron durch die Mission führten, bestand die Frau des Texaners darauf, einen weißbärtigen Ältesten zu fotografieren, der mit gekreuzten Beinen und offenem Hosenlatz im Staub saß. Der alte Mann wurde wütend. Er spuckte einen ordentlichen Schleimklumpen aus, der zu Füßen der Dame landete. Sie zeigte sich jedoch der Situation gewachsen, entschuldigte sich, riß den Film aus ihrem Fotoapparat, beugte sich mit mildtätiger Miene zu ihm herab und fragte: »Gibt es irgend etwas, das ich Ihnen aus Amerika schicken kann?«
    »Ja«, fauchte er. »Vier Toyota-Landcruiser!«
    Pater Villaverde war schwer entsetzt. Für diesen authentischen Caballero war der Verbrennungsmotor ein Greuel. Irgend jemand mußte Unruhe gestiftet haben. Sein Verdacht fiel auf Pater Flynn.
    Ungefähr einen Monat später fing er einen Brief vom Ministerium für Aborigine-Angelegenheiten in Canberra ab, in welchem dem Boongaree-Rat für sein Ersuchen um einen Landcruiser Dank ausgesprochen wurde: die Sache werde in Erwägung gezogen.
    »Und was«, kreischte Pater Villaverde, »ist der Boongaree-Rat?«
    Flynn kreuzte die Arme; er wartete, bis sich der Wortschwall legte, dann sagte er: »Wir.«
    Von diesem Tag an herrschte offener Krieg.
    Während der Sportveranstaltung am Samstag darauf, als Pater Villaverde gerade seinen siegreichen Speer geschleudert hatte, kam Flynn in einer weißen Soutane hinter der Kirche hervorgeschritten, in der Hand einen Speer, der mit rotem Ocker eingerieben war. Er bedeutete den Zuschauern, Platz zu machen, und ließ den Speer mit einer scheinbar mühelosen Bewegung durch die Luft segeln.
    Er hatte mehr als doppelt so weit geworfen wie der Spanier – der daraufhin wütend das Bett hüten mußte.
    Ich habe die Namen der drei Stämme, die um die Mission herum ihre Lager hatten, vergessen. Pater Terence hatte sie auf einen Zettel gekritzelt, den ich verloren habe. Der springende Punkt war, daß Stamm A Freund und Verbün deter vom Stamm B war und daß beide Stämme mit den Männern vom Stamm C bis aufs Blut verfeindet waren – die, in die Enge getrieben und ihrer Frauenquelle beraubt, in Gefahr waren auszusterben.
    Alle drei Lager befanden sich in gleicher Entfernung von den Missionsgebäuden: jeder Stamm blickte in die Richtung seiner früheren Heimat. Kämpfe brachen erst aus, nachdem man sich eine Zeitlang in Schmähungen ergangen und sich der Zauberei bezichtigt hatte. Aufgrund eines stillschweigenden Übereinkommens rotteten sich die Verbündeten nicht gegen den gemeinsamen Feind zusammen. Alle drei erkannten die Mission selbst als neutralen Boden an.
    Pater Villaverde zog es vor, diese periodischen Anwandlungen von Blutvergießen zu dulden: solange die Wilden in ihrer Unkenntnis des

Weitere Kostenlose Bücher