Traumpfade
Evangeliums verharrten, waren sie dazu verurteilt, weiterzukämpfen. Außerdem schmeichelte die Rolle des Friedensstifters seiner Eitelkeit. Sobald er Schreie hörte, stürzte er zum Schauplatz, schritt an den rasselnden Speeren entlang, machte eine Handbewegung wie Jesus, als er die Wasser besänftigte, und sagte: »Halt!« – und die Krieger trotteten nach Hause.
Der oberste Gesetzeskundige vom Stamm C hatte den unvergeßlichen Namen Cheekybugger Tabagee. In seiner Jugend war er ein erfahrener Fährtenleser gewesen und hatte Schürfexpeditionen durch die Kimberley-Berge geführt. Jetzt haßte er jeden Weißen, und in dreißig Jahren hatte er kein einziges Wort an die Spanier gerichtet.
Cheekybuggers Körper war nach kolossalen Maßstäben gebaut, aber er war alt, arthritisch und mit dem Schorf einer Hautkrankheit bedeckt. Seine Beine waren nicht mehr zu gebrauchen. Er saß im Halbschatten seiner Hütte und und ließ die Hunde seine Schwären lecken.
Er wußte, daß er im Sterben lag, und es machte ihn wütend. Einen nach dem andern hatte er die jungen Männer gehen oder zugrunde gehen sehen. Bald würde niemand mehr dasein: weder um die Lieder zu singen noch um Blut für Zeremonien zu geben.
Die Aborigines glauben, daß ein ungesungenes Land ein totes Land ist: denn wenn die Lieder vergessen sind, wird das Land selbst sterben. Zu dulden, daß so etwas geschah, war das schlimmste aller denkbaren Verbrechen, und dieser bittere Gedanke veranlaßte Cheekybugger, seine Lieder an den Feind weiterzugeben – womit er sein Volk zu immerwährendem Frieden verpflichtete, was natürlich eine weit, weit schwerer wiegende Entscheidung war, als immerwährendem Krieg Vorschub zu leisten.
Er ließ Flynn rufen und bat ihn, als Vermittler zu fungieren.
Flynn ging von einem Lager zum andern, argumentierte, ermahnte und fand schließlich eine Lösung. Der Haken war das Protokoll.
Cheekybugger hatte die Verhandlungen begonnen: nach dem Gesetz war er es, der die Lieder persönlich übergeben mußte. Die Frage war nur, wie. Er konnte nicht gehen. Er wollte nicht getragen werden. Ein Pferd zu besteigen lehnte er höhnisch ab. Schließlich fand Flynn die Lösung: er lieh sich einen Schubkarren aus bei dem malaiischen Koch, der auch im Gemüsegarten arbeitete.
Die Prozession setzte sich an einem glühendheißen blauen Nachmittag zwischen zwei und drei in Bewegung, als die Kakadus verstummt waren und die Spanier sich durch ihre Siesta schnarchten. Cheekybugger fuhr in dem Schubkarren voran, von seinem ältesten Sohn geschoben. Auf seinen Knien, in Zeitungspapier gewickelt, lag sein Tschuringa, den er jetzt dem Feind leihen wollte. Die anderen folgten im Gänsemarsch.
An einer Stelle hinter der Kirche traten zwei Männer – von den Stämmen A und B – hinter den Büschen hervor und geleiteten die Gruppe zum Ort des »Geschäfts«.
Flynn ging hinter ihnen her, die Augen halb geschlossen; er wirkte wie ein Mann in Trance. Er huschte ohne einen Funken des Erkennens an Pater Terence vorbei.
»Ich sah, daß er ›weg‹ war«, erzählte mir Pater Terence. »Und ich sah, daß uns Scherereien bevorstanden. Aber es war alles sehr bewegend. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich eine Vision vom Frieden auf Erden.«
Bei Sonnenuntergang nahm eine der Krankenschwestern eine Abkürzung durch den Busch und hörte leiernde Stimmen und das Tak … Tak … der aufeinanderschlagenden Bumerange. Sie beschleunigte ihre Schritte, um Pater Villaverde zu benachrichtigen.
Er stürzte hinaus, um die Versammlung aufzulösen. Flynn trat hinter einem Baum hervor und warnte ihn, näher zu kommen.
Nach der Auseinandersetzung wurde erzählt, Flynn habe nur die Handgelenke seines Angreifers mit den Händen umklammert und sie festgehalten. Was Pater Villaverde jedoch nicht daran hinderte, einen Brief nach dem anderen an seine Vorgesetzten zu schreiben, wobei er behauptete, ohne jeden Grund tätlich angegriffen worden zu sein, und sie aufforderte, diesen Jünger Satans aus dem Schoß der Kirche auszustoßen.
Pater Subiros riet ihm, die Briefe nicht abzuschicken. Es gab bereits Interessengruppen der Aborigines, die eine Abschaffung der Missionen durchzusetzen suchten. Flynn hatte nicht an einem heidnischen Ritus teilgenommen: er hatte nur als Friedensstifter fungiert. Was, wenn die Presse Wind von der Sache bekäme? Was, wenn bekannt würde, daß zwei alte Spanier Krieg zwischen Stämmen angezettelt hatten?
Pater Villaverde gab widerwillig nach; und im
Weitere Kostenlose Bücher