Traumpfade
reichlich vorhanden. Oft zieht eine Herde so nah an unserer Karawane vorbei, daß die Messufiten sie mit Speeren und mit Hunden jagen.«
In den siebziger Jahren hatten Jagdgesellschaften in Landrovern und mit Zielfernrohrgewehren dann glücklich dafür gesorgt, daß Oryx und Addax, die alles andere als reichlich vorhanden waren, ausstarben. Die Regierung erließ ein generelles Jagdverbot, das auch für die Nemadi galt.
Da sie sich ebenso sanft wußten, wie die Mauren gewalttätig und rachsüchtig waren, da sie ebenfalls wußten, daß es der Viehbesitz war, der zu Gewalttätigkeiten führte, wollten die Nemadi nichts davon wissen. Ihre Lieblingslieder erzählten von der Flucht in die Wüste, wo sie auf bessere Zeiten warteten.
Der Gouverneur erzählte mir, wie er und seine Kollegen den Nemadi insgesamt tausend Ziegen gekauft hatten. »Eintausend Ziegen!« rief er. »Wissen Sie, was das heißt? Viele Ziegen! Und was haben sie mit den Ziegen gemacht? Sie gemolken? Nein! Sie gegessen! Den ganzen Haufen gegessen! Ils sont im-bé-ciles! «
Der Polizist, kann ich zu meiner Freude sagen, mochte die Nemadi. Er sagte, sie seien braves gens , und dann, verstohlen, der Gouverneur sei nicht ganz richtig im Kopf.
Als wir auf das weiße Zelt zugingen, hörten wir als erstes ein Lachen, und dann stießen wir auf eine Gruppe von zwölf Nemadi, Erwachsene und Kinder, die im Schatten einer Akazie ruhten. Keiner von ihnen war krank oder schmutzig. Sie alle waren makellos sauber.
Der Häuptling stand auf, um uns willkommen zu heißen.
»Mahfould«, sagte ich und schüttelte seine Hand.
Ich kannte sein Gesicht von den Fotos des Schweizer Ethnographen: ein flaches, strahlendes Gesicht, um das ein kornblumenblauer Turban gewickelt war. Er war in zwanzig Jahren kaum gealtert.
Unter den Anwesenden waren mehrere Frauen in indigofarbenen Baumwollstoffen und ein Neger mit einem Klumpfuß. Da war ein uralter blauäugiger Krüppel, der sich auf den Händen fortbewegte. Der Anführer der Jäger war ein Mann mit breiten Schultern, dessen Gesichtsausdruck Strenge und Unbekümmertheit verriet. Er war dabei, aus einem Block Holz einen Sattelrahmen zu schnitzen, während sein Lieblingshund, ein glänzender gescheckter Terrier, einem Jack Russell nicht unähnlich, die Schnauze an seinem Knie rieb.
Nemadi bedeutet »Herr der Hunde«. Es heißt, daß die Hunde sogar dann essen, wenn ihre Herren Hunger leiden; ihre Dressur würde jedem Zirkus Ehre machen. Eine Meute besteht aus fünf Hunden: dem »König« und vier Gefolgsleuten.
Der Jäger, der eine Antilopenherde bis zu ihrem Weidegrund verfolgt hat, legt sich mit seinen Hunden an den Abhang einer Düne und weist sie an, welches Tier sie jagen sollen. Auf ein Zeichen stürzt der »König« die Böschung hinunter, umklammert das Maul der Antilope mit den Zähnen, und die anderen schnappen jeweils nach einem Bein. Ein einziger Messerstoß, ein schnelles Gebet, um die Antilope um Verzeihung zu bitten – und die Jagd ist vorbei.
Die Nemadi verschmähen den Gebrauch von Feuerwaffen – ein Sakrileg. Und da sie glauben, daß die Seele des toten Tieres in seinen Knochen wohnt, werden diese ehrfurchtsvoll vergraben, damit die Hunde sie nicht entweihen.
»Die Antilopen waren unsere Freunde«, sagte eine der Frauen mit einem strahlenden weißen Lächeln. »Jetzt sind sie weit weggegangen. Jetzt haben wir nichts, gar nichts mehr zu tun als zu lachen.«
Sie brüllten alle vor Lachen, als ich sie nach den Ziegen des Gouverneurs fragte.
»Und wenn Sie uns eine Ziege kaufen«, sagte der Anführer der Jäger, »werden wir auch sie töten und essen.«
»Recht so«, sagte ich zu dem Polizisten. »Lassen Sie uns gehen und ihnen eine Ziege kaufen.«
Wir gingen durch das Wadi, wo ein Viehhirte seine Herde tränkte. Ich zahlte etwas mehr, als er für ein einjähriges Tier verlangte, und der Jäger lockte es mit schmeichelnden Lauten zum Lager zurück. Ein Gurgeln hinter einem Busch kündigte an, daß sein Leben beendet war und daß es Fleisch zum Abendessen geben würde.
Die Frauen lachten, schlugen auf ein paar alten Blechschüsseln ein Tamtam und sangen ein sanftes, murmelndes Lied, um dem Fremden für das Geschenk des Fleisches zu danken.
Es gibt eine Geschichte von einem maurischen Emir, der, vom Lächeln einer Nemadi-Frau bezirzt, sie entführte, sie in Seide kleidete und sie nie wieder lächeln sah bis zu dem Tag, als sie durch das Gitterfenster ihres Gefängnisses einen Nemadi-Mann über den Markt
Weitere Kostenlose Bücher