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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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jeden Makel. Und als er den Mund öffnete, zeigte er eine Reihe blitzender, dreieckiger Zähne – wie die eines jungen Hais.
    Er war der Verkaufsleiter des Ladens.
    »Kommen Sie herein«, sagte er förmlich.
    In dem Wohnwagen konnte man sich vor lauter Büchern kaum bewegen: vor allem Romane, in Regalen und Stapeln, gebundene Bücher und Taschenbücher, englische und amerikanische Romane, Romane in Französisch und Deutsch, aus dem Tschechischen, Spanischen, Russischen, ungeöffnete Päckchen vom Gotham Book Mart, Haufen von Ausgaben der Nouvelle Revue Française und der New York Review, Literaturzeitschriften, Zeitschriften für Literatur in Übersetzungen, Akten, Ordner, Karteien …
    »Setzen Sie sich«, sagte er, als hätte es Platz zum Sitzen gegeben, bevor wir etwas Raum geschaffen hatten.
    Bis wir damit fertig waren, hatte Rolf drei Tassen mit Kaffee aus der Espressomaschine gefüllt, sich eine Gauloise angezündet und angefangen, in ratterndem Stakkato über die gesamte zeitgenössische Literatur herzuziehen. Einer nach dem andern wurden die großen Namen auf den Richtblock dieses literarischen Henkers gelegt, verhöhnt und mit einer einzigen Silbe abgetan: »Mist!«
    Die Amerikaner waren »Langweiler«. Die Australier waren »infantil«. Die Südamerikaner waren »passé«. London war eine Jauchegrube, und Paris war auch nicht besser. Die einzige halbwegs annehmbare Arbeit wurde in Osteuropa geleistet.
    »Vorausgesetzt«, fauchte er, »daß die Schriftsteller dort bleiben!«
    Als nächstes verspritzte er sein Gift gegen Verleger und Agenten, bis Arkady es nicht länger aushielt.
    »Hör zu, kleines Monster. Wir sind müde. «
    »Ihr seht müde aus«, sagte er. »Und ihr seht schmutzig aus.«
    »Wo werden wir schlafen?«
    »In einem wunderschönen Wohnwagen mit Klimaanlage.«
    »Wessen Wohnwagen?«
    »Von der Cullen-Gemeinde eigens für euch zur Verfügung gestellt. Mit sauberen Bettlaken, kühlen Getränken im Eisschrank …«
    »Ich hab’ gefragt: Wessen Wohnwagen?«
    »Glens«, sagte er. »Er ist noch nicht eingezogen.«
    Glen war ein Berater der Aborigines.
    »Und wo ist Glen?«
    »In Canberra«, sagte Rolf. »Bei einer Konferenz. Blöder Angeber!«
    Er flitzte nach draußen, sprang in den Landcruiser und fuhr uns zu einem nagelneuen, schön gestrichenen Wohnwagen, ein paar hundert Meter entfernt von seinem. Vom Ast eines Geistereukalyptusbaums hing – als Dusche – ein Eimer aus Segeltuch herab, mit zwei Wasserkanistern darunter.
    Rolf hob einen der Deckel hoch und tauchte einen Finger hinein.
    »Lauwarm«, sagte er. »Wir haben euch früher erwartet.«
    Er gab Arkady den Schlüssel. Im Wohnwagen waren Seife, Handtücher und Laken.
    »So, und jetzt lass’ ich euch allein«, sagte er. »Kommt etwas später in den Laden. Wir schließen um fünf.«
    »Was macht Wendy?« fragte Arkady.
    »Liebt mich«, sagte Rolf grinsend.
    »Affe!«
    Arkady hob die Faust, als wollte er ihn schlagen, aber Rolf sprang die Stufen hinab und ging lässig durch die Büsche davon.
    »Zu diesem Mann sind ein paar Erklärungen erforderlich.«
    »Das sage ich den Leuten ja immer«, sagte Arkady. »Australien ist ein Land voller Wunder.«
    »Erst mal: Wie alt ist er?«
    »Zwischen neun und neunzig.«
    Wir duschten, zogen uns um, legten die Füße hoch, und dann erzählte Arkady in groben Zügen, was er von Rolfs bisherigem Leben wußte.
    Väterlicherseits stammte er von einem Geschlecht von Deutschen aus dem Barossa Valley ab – acht Generatio nen von Preußen, solide Lutheraner mit solidem Geld, die am stärksten verwurzelte Gemeinde Australiens. Seine Mutter war eine Französin, die während des Kriegs in Adelaide gestrandet war. Rolf war dreisprachig: Eng lisch, Deutsch und Französisch. Er hatte ein Stipendium für die Sorbonne bekommen. Er schrieb eine Doktorar beit über »strukturale Linguistik« und bekam später ei nen Job als »Kulturkorrespondent« für eine Zeitung in Sydney.
    Diese Erfahrung erfüllte ihn mit einem so erbitterten Haß auf die Presse, Pressemagnaten und die Medien im allgemeinen, daß er dem Vorschlag seiner Freundin Wendy, sich mit ihr in Cullen von der Außenwelt zurückzuziehen, unter einer Bedingung zustimmte: er müsse so viel lesen können, wie er wolle.
    »Und Wendy?« fragte ich.
    »Oh, sie ist eine ernst zu nehmende Linguistin. Sie sammelt Material für ein Pintupi-Wörterbuch.«
    Am Ende des ersten Jahres, fuhr er fort, war Rolf mit dem Lesen an einem toten Punkt angekommen. Damals wurde

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