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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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die Stelle des Verkaufsleiters des Ladens frei.
    Der bisherige Verkaufsleiter, ein anderer Irrsinniger namens Bruce, hielt sich für einen besseren Aborigine als die Aborigines selbst und beging den Fehler, mit einem verschrobenen Alten namens Wally Tjangapati Streit anzufangen, was zur Folge hatte, daß sein Schädel von Wallys Bumerang aufgeschlitzt wurde.
    Unglücklicherweise wurde ein Mulgaholzsplitter, dünn wie eine Nadel oder noch dünner, von dem Röntgenologen in Alice Springs übersehen und durchwanderte Bruces Gehirn.
    »Wodurch«, sagte Arkady, »nicht nur seine Sprache, sondern auch seine Unterleibsfunktionen in Mitleidenschaft gezogen wurden.«
    »Warum hat Rolf den Job übernommen?«
    »Aus Perversität«, sagte er.
    »Und was treibt er?« fragte ich. »Schreibt er?«
    Arkady runzelte die Stirn.
    »Das würde ich lieber nicht erwähnen«, sagte er. »Ich glaube, es ist sein wunder Punkt. Ich glaube, sein Roman ist abgelehnt worden.«
    Wir hielten eine einstündige Siesta und gingen dann zur Ambulanz hinüber, wo das Funktelefon war. Estrella, die spanische Krankenschwester, legte einer Frau, die von einem Hund ins Bein gebissen worden war, einen Verband an. Auf dem Dach der Ambulanz hatten sich mehrere Wellbleche gelöst und klapperten jetzt im Wind.
    Arkady fragte, ob sie Nachrichten für uns habe.
    »Nein«, schrie Estrella über das Getöse hinweg. »Ich verstehe nichts.«
    »Irgendwelche Nachrichten?« brüllte Arkady und zeigte auf das Funktelefon.
    »Nein, nein! Keine Nachrichten!«
    »Als erstes werde ich morgen früh das Dach reparieren«, sagte ich, als wir davongingen.
    Wir gingen zum Laden.
    Stumpy Jones hatte eine Ladung Melonen gebracht – Warzenmelonen und Wassermelonen –, und so hockten oder saßen jetzt etwa fünfzig Menschen um die Zapfsäule und aßen Melonen.
    Die Hunde konnten Melonenschalen nicht ausstehen.
    Wir gingen hinein.
    Die Sicherungen im Laden waren durchgebrannt, und die Kunden tasteten sich durch das Halbdunkel. Einige wühlten in der Tiefkühltruhe. Jemand hatte eine Tüte Mehl auf dem Boden verschüttet. Ein Kind brüllte nach einem verlorenen Lutscher und eine junge Mutter, deren Baby in ihrem scharlachroten Trägerrock festgebunden war, trank in kräftigen Zügen Tomatensaft aus einer Flasche.
    Der »verrückte Bumeranger«, ein hagerer, haarloser Mann mit Fettwülsten im Nacken, stand vor der Ladenkasse und forderte wütend Bargeld für seinen Fürsorgescheck.
    Es gab zwei Kassen. Eine wurde mit der Hand bedient, die andere war elektrisch und deshalb außer Funktion. An der ersten saß ein Aborigine-Mädchen und zählte mit geschickten, flinken Fingern die Geldscheine. An der zweiten saß Rolf mit gesenktem Kopf, ohne den Lärm und den Gestank wahrzunehmen.
    Er las.
    Er blickte auf und sagte: »Oh, da seid ihr ja!« Er las Proust.
    »Ich schließe gleich«, sagte er. »Braucht ihr etwas? Wir haben ein fabelhaftes Kokosnußshampoo.«
    »Nein«, sagte ich.
    Er näherte sich, um genau zu sein, dem Ende der nicht enden wollenden Abendgesellschaft der Duchesse de Guermantes. Sein Kopf ging hin und her, während seine Augen über die Seiten glitten. Dann stieß er mit der Befriedigung dessen, der einen Proustschen Absatz hinter sich gebracht hat, unwillkürlich ein »Ah!« aus, legte das Lesezeichen ein und schloß die Pléiade-Ausgabe.
    Er sprang auf.
    »Raus!« fuhr er die Kunden an. »Raus! Raus! Verschwindet!«
    Die Frauen, die bereits in der Schlange standen, durften ihre Einkäufe beenden. Alle anderen Kunden, auch den »Bumeranger«, setzte er vor die Tür. Mit einem gequälten Stöhnen versuchte die junge Mutter, ihren Korb vor ihm zu schützen. Er ließ sich nicht erweichen.
    »Raus!« rief er wieder. »Ihr habt den ganzen Tag Zeit gehabt. Kommt morgen um neun wieder.«
    Er griff nach dem Korb und stellte ihre Dosen mit Schinken und Ananas in die Regale zurück. Als er schließlich die letzten Kunden durch die Tür geschoben hatte, zeigte er auf einen »Eski«, der hinter seiner Kasse verborgen war.
    »Ration für den Härtefall« sagte er. »Eine kleine Aufmerksamkeit von Stumpy Jones. Kommt, ihr beiden Halunken. Legt Hand an.«
    Er gestattete Arkady und mir, den Behälter zu seinem Wohnwagen zu tragen. Wendy war noch nicht zurück.
    »Wir sehen uns später«, nickte er. »Punkt acht.«
    Wir lasen ein paar Stunden, und Punkt acht gingen wir hinüber. Rolf und Wendy grillten Hühnchen auf einem Holzkohlenfeuer. Süßkartoffeln backten in Alufolie. Es gab

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