Traumpfade
grünes Gemüse und Salat. Und allen Vorschriften zuwider gab es vier Flaschen eisgekühlten »Chablis« aus dem Barossa Valley.
Kaum hatte ich einen Blick auf Wendy geworfen, hörte ich mich sagen: »Nicht noch eine!« Nicht noch eine von diesen erstaunlichen Frauen! Sie war groß, ernst, jedoch belustigt, mit goldenem Haar, das in Flechten um ihren Kopf lag. Sie schien nicht so überschwenglich wie Marian, dafür aber auch nicht so überempfindlich, glücklicher mit ihrer Arbeit, nicht so »verloren«.
»Ich bin froh, daß ihr gekommen seid«, sagte sie. »Rolf braucht dringend jemanden, mit dem er reden kann.«
29
T itus Tjilkamata, der Mann, den Arkady aufsuchen wollte, lebte ungefähr fünfundzwanzig Meilen süd westlich von der Cullen-Siedlung in einer Hütte, die an einem Schlammloch lag.
Offenbar war er so übler Laune, daß Arkady, der für diese schwere Prüfung seinen ganzen Mut zusammennahm, mir empfahl, ich solle lieber zurückbleiben, bis er »die Temperatur gemessen« habe. Er zog Titus’ Manager als Beistand heran, einen Mann mit einer leisen Stimme, der hinkte und auf den Spitznamen »Hinkebein« hörte. Die beiden brachen am Morgen gegen neun mit dem Landcruiser auf.
Der Tag war sehr heiß und windig, und zerzauste Federwolken trieben über den Himmel. Ich ging zur Ambulanz hinüber. Das Scheppern auf dem Dach war ohrenbetäubend.
»Sie haben es schon mal repariert«, schrie Estrella. »Kostete zweitausend Dollar! Stellen Sie sich das vor!« Sie war eine winzige junge Frau mit einem lustigen Gesicht.
Ich kletterte hinauf, um den Schaden zu untersuchen. Ein hoffnungsloses Pfuschwerk: alle Dachsparren waren schief. In nicht unvorhersehbarer Zukunft würde das ganze Gebäude einstürzen.
Estrella schickte mich zu Don, dem Werkstattleiter. Ich bat ihn um einen Hammer und Sparrennägel. »Das ist nicht Ihre Angelegenheit«, sagte er. »Und meine auch nicht.«
Die Arbeiten hatte irgendein »Scheißkünstler« aus Alice verrichtet.
»Das macht«, sagte ich im Spaß, »das Risiko für eine selbstmörderische spanische Nonne nicht geringer. Auch nicht für ein Kind, das von einem davonfliegenden Blech in zwei Hälften geteilt wird.«
Don ließ sich widerwillig erweichen und gab mir alle Nägel, die er hatte. Ich hämmerte ein paar Stunden Bleche fest, und als ich damit fertig war, lächelte Estrella anerkennend.
»Wenigstens kann ich mich jetzt denken hören«, sagte sie.
Nachdem ich den Hammer zurückgebracht hatte, sah ich im Vorbeiweg bei Rolfs Laden vorbei.
In der Nähe, windgeschützt hinter einem Kreis aus leeren Tonnen, spielten Männer und Frauen mit sehr hohen Einsätzen Poker. Ein Mann hatte 1400 Dollar verloren und sich damit abgefunden, noch mehr zu verlieren. Die Gewinnerin, eine Riesin in einem gelben Trägerrock, warf ihre Karten mit herunterhängenden Mundwinkeln und dem hungrigen Ausdruck von Frauen in Spielkasinos auf die Zeltbahn am Boden.
Rolf las noch immer Proust. Er hatte die Abendgesellschaft der Duchesse de Guermantes verlassen und folgte Baron de Charlus durch die Straßen zu seiner Wohnung. Er hatte eine Thermosflasche mit schwarzem Kaffee, den er mit mir teilte.
»Ich habe hier jemanden, den Sie kennenlernen sollten«, sagte er.
Er gab einem kleinen Jungen ein Toffee und sagte ihm, er solle gehen und Joshua holen. Nach ungefähr zehn Minuten erschien ein Mann in mittlerem Alter im Tür rahmen, nur Beine und kaum Körper, mit sehr dunk ler Haut und mit einem schwarzen Cowboyhut auf dem Kopf.
»Ha!« sagte Rolf. »Mr. Wayne persönlich.«
»Boß!« sagte der Aborigine mit einem kieseligen amerikanischen Akzent.
»Hör zu, alter Spitzbube. Dies ist ein Freund von mir aus England. Ich möchte, daß du ihm von den Träumen erzählst.«
»Boß!« wiederholte er.
Joshua war ein berühmter Pintupi-»Darsteller«, von dem man immer eine gute Show erwarten konnte. Er war in Europa und den Vereinigten Staaten aufgetreten. Bei seinem ersten Flug nach Sydney verwechselte er die Lichter am Boden mit den Sternen – und wollte wissen, warum das Flugzeug verkehrt herum flog.
Ich folgte ihm auf einem Weg, der sich durch die Spinifex-Büsche schlängelte, zu seinem Haus. Er hatte so gut wie keine Hüften, und seine Hose rutschte immer wieder herunter und ließ zwei stramme, schwielige Hinterbacken sehen.
Sein »Haus« befand sich auf der höchsten Stelle des Sattels zwischen Mount Cullen und Mount Liebler. Es bestand aus einem ausgeweideten Kombiwagen, den Joshua umgedreht
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