Traumpfade
mußte. Während wir herangelaufen kamen, hüpfte das Känguruh vorwärts und Donkey-donk hing an ihm wie ein Mann beim Tauziehen, und dann schoß Nero ihm in den Kopf, und es war vorbei.
Walker sah angewidert und unglücklich aus.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er.
»Mir auch nicht«, stimmte ich ihm zu.
Nero betrachtete das tote Känguruh. Blut tropfte aus seinen Nasenlöchern auf die rote Erde.
»Ist alt«, sagte er. »Nicht gut zum Essen.«
»Was werdet ihr damit machen?«
»Liegenlassen«, sagte er. »Vielleicht den Schwanz abschneiden. Hast du ein Messer?«
»Nein«, sagte ich.
Nero kramte im Wagen herum und fand den Deckel einer alten Blechdose. Er benutzte ihn als Klinge und versuchte, den Schwanz abzuschneiden, aber er konnte die Wirbelsäule nicht durchtrennen.
Das linke Hinterrad hatte einen Platten. Donkey-donk befahl mir, den Wagenheber zu holen und den Reifen zu wechseln. Der Wagenheber war völlig verbogen, und nachdem ich ein paarmal gehebelt hatte, klappte er zusammen und die Achse schlug auf den Boden.
»Da hast du’s«, sagte er mit einem bösen Seitenblick.
»Was machen wir nun?« fragte ich.
»Gehen«, sagte Nero kichernd.
»Wie weit?«
»Zwei Tage, vielleicht.«
»Wie wär’s mit Rauch?« schlug ich vor.
»Nä!« knurrte Donkey-donk. »Heben! Hochheben, Mann!«
Walker und ich faßten unter die Stoßstange, spannten den Rücken an und versuchten, den Wagen hochzuheben, während Donkey-donk sich anschickte, einen Klotz unter das Differentialgetriebe zu schieben.
Es hatte keinen Sinn.
»Komm her«, rief ich Nero zu. »Hilf uns!«
Er wölbte die Hand und fuhr damit über seinen dünnen Bizeps, klapperte mit den Lidern und kicherte.
»Keine Kraft!« sagte er atemlos.
Donkey-donk gab mir einen Grabstock und befahl mir, ein Loch unter dem Rad auszuheben. Eine halbe Stunde später war das Loch groß genug, daß man den Reifen wechseln konnte. Alle drei sahen zu, während ich arbeitete. Ich war erledigt und schweißdurchnäßt. Dann schoben wir das Fahrzeug vor und zurück und bekamen es schließlich frei.
Wir überließen das Känguruh den Krähen und fuhren nach Cullen zurück.
»Willst du morgen mit auf die Jagd kommen?« fragte Donkey-donk.
»Nein«, sagte ich.
London, 1970
Bei einer öffentlichen Lesung hörte ich, wie Arthur Koestler verkündete, seiner Meinung nach sei die Menschheit verrückt. Er behauptete, daß der Mensch infolge einer mangelhaften Koordination zwischen den beiden Gehirnhälften – dem »rationalen« Neocortex und dem »instinktiven« Hypothalamus – auf irgendeine Weise den »einzigartigen, mörderischen, wahnhaften Hang« erwerbe, der ihn unvermeidlich zu Mord, Folter und Krieg antreibe.
Unsere prähistorischen Vorfahren, sagte er, litten nicht an den Folgen der Übervölkerung. Es mangelte ihnen nicht an Territorium. Sie lebten nicht in Städten … und doch hätten auch sie sich gegenseitig niedergemetzelt.
Er fuhr fort mit der Erklärung, seit Hiroshima habe eine vollständige Veränderung der »menschlichen Bewußtseinsstruktur« stattgefunden – zum erstenmal in seiner Geschichte müsse der Mensch sich mit dem Gedanken an die Auslöschung seiner Art vertraut machen.
Diese jahrtausendealte Phrasendrescherei machte mich ziemlich wütend. Als Fragen gestellt werden durften, hob ich die Hand.
Um das Jahr tausend, sagte ich, hätten Menschen in ganz Europa geglaubt, daß ein gewaltsames Ende der Welt unmittelbar bevorstehe. Inwiefern unterschied sich ihre »Bewußtseinsstruktur« von unserer?
Koestler starrte mich mit einem verächtlichen Blick an und fauchte unter dem Beifall des Publikums:
»Weil das eine Einbildung war, und die Wasserstoffbombe ist eine Realität.«
*
Heilsame Lektüre am Ende des zweiten Jahrtausends: L’An mil von Henri Focillon.
In dem Kapitel »Das Problem der Schrecken« zeigt Focillon, wie der abendländische Mensch vor genau eintausend Jahren von denselben Ängsten gelähmt war, die heute von als Staatsmänner geltenden Fanatikern verbreitet werden. Der Satz »Mundus senescit« – »Die Welt wird alt« – spiegelte die Stimmung eines unheilvollen intellektuellen Pessimismus wider und die »religiöse« Überzeugung, daß die Welt ein lebender Organismus sei, der, sobald er den Höhepunkt seiner Reife überschritten habe, dazu verurteilt sei, plötzlich zu sterben.
Es gebe drei verschiedene Auslöser für den Schrecken:
Daß Gott seine Schöpfung in Wolken aus Feuer und Schwefel
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