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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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Tag für Tag lag die Hündin unter dem Busch. Einmal sah ihr Kopf aus, als sei Reis darüber gestreut worden. Beatrice griff durch den Zaun und nahm etwas davon in die Hand. Es bewegte sich. Maden hatten sich in der schwärenden Wunde ausgebreitet. Fünf Wochen lang verharrte die arme Hündin in der gleichen Stellung und mühte sich ab, zu fressen und zu trinken und am Leben zu bleiben, um ihre Babys zu stillen. Die Jungen waren inzwischen so laut geworden, dass die Mädchen sie nicht mehr verstecken konnten, und Schwester Margaret entdeckte sie. Sofort befahl sie einem Kind, ihr einen Karton zu bringen, und legte alle drei kleinen Dingos hinein. Die Mädchen dachten, das sei das Ende ihrer vierbeinigen Freunde, und sie würden sie nicht wiedersehen - aber sie ahnten nicht, wie sehr sie sich irrten.
    Nach dem Essen an diesem Abend ließ Schwester Margaret die fünf Mädchen zu sich kommen, nachdem sie sie gezwungen hatte, die Namen aller Beteiligten zu nennen. Sie wurden in die Waschküche geführt, wo die Welpen in einer Apfelsinenkiste in der Mitte des Raums lagen. Schwester Margaret wies Beatrice an, den Waschzuber mit Wasser zu füllen. Freda musste aus einer Ecke einen Mehlsack holen, einen großen Stein hineinlegen und den Sack aufhalten, während jedes der drei Mädchen einen Welpen hineinsteckte. Dann band Schwester Margaret den Sack mit einer Kordel zu und warf ihn ins Wasser. Die Welpen kämpften und jaulten, als der weiße Stoff auf den Grund sank. Eine Ecke davon kam wieder an die Oberfläche. An den Geräuschen und Bewegungen erkannten die Mädchen, dass die drei winzigen Wesen mehrere Minuten lang kämpften und zappelten, um an die Oberfläche zu gelangen und am Leben zu bleiben. Angewidert ging Schwester Margaret schließlich in die Küche und kam mit einem schweren eisernen Topfdeckel zurück. Sie rollte ihren langen schwarzen Ärmel auf, streckte den unheimlichen, geisterhaft bleichen Arm aus, drückte den Deckel auf den Sack und zwang ihn auf den Boden des Zubers. Dabei sprach sie die ganze Zeit über zu den Mädchen, aber es war eher ein Geplapper als eine Rede. Unablässig faselte sie über wilde Kreaturen, gefährliche, infizierte Geschöpfe und über Jesus, der versuchte, ihre bösen wilden Seelen zu retten. Überhaupt: Für die Nachkommen wilder Völker wäre es besser, sie wären nie geboren. Endlich führte sie vier der Mädchen nach draußen, damit sie ein Loch für die toten Welpen grüben. Beatrice musste den schweren tropfenden Sack tragen. Freda blieb drinnen, um den Boden zu wischen. Mit jeder Schaufel Erde, die das Loch größer machte, empfand Beatrice mehr Hass auf diese Frau, doch damals kannte sie nicht einmal das Wort »Hass«. Sie spürte nur das Gefühl.
    Anschließend wurde den Mädchen aufgetragen, die Aufgabe zu vollenden, indem sie das Muttertier töteten und mit den anderen begruben. Als Beatrice unter den Busch kroch, war die Hündin bereits tot. Beatrice war dankbar, dass sie ihren Überlebenskampf selbst aufgegeben hatte. Das Muttertier wurde auf den Sack mit den ertrunkenen Welpen gelegt, und die Mädchen mussten das Loch wieder zuschaufeln. Das Geräusch der Erde, die mit jedem Schwung der Schaufel auf den Körper des Tiers fiel, war eine unvergessliche Erinnerung. Diese Dingohündin war Beatrices einzige echte Erfahrung mit einer Mutter und ihren Kindern, da keine der Waisen sich an eine Familie erinnern oder davon erzählen konnte. Die tote Hündin wurde zu einer Heldin, und Schwester Margaret war natürlich der Schurke.
    Am Morgen, nachdem der siebenjährige Geoff die Bekanntschaft von Reverend und Mrs. Marshall gemacht hatte, fand Matty Willett ihn schlafend an seinem Lieblingsplatz, einem Heuhaufen in der Ecke einer der Scheunen. Noch immer umklammerte er seinen neuen Malkasten. Sie weckte ihn auf und sagte ihm, er werde nach Amerika fahren. Er hatte das Wort noch nie gehört; es bedeutete ihm nichts. Am gleichen Tag wurde Irene angewiesen, dafür zu sorgen, dass er sich im Baderaum der Männer duschte. Dann bekam er einige Kleidungsstücke, aus denen die Willett-Jungen herausgewachsen waren. Zum ersten Mal wurden seine Füße in Schuhe gesteckt, die er als sehr unbequem empfand. Als Geoff zu weinen begann, erklärte Irene ihm, Schuhe täten jedem, der sie trage, immer weh, aber er sah keine anderen Leute, die darüber weinten. Er wäre jetzt fast erwachsen - er war sieben -, und deshalb müsste er einfach das Notwendige akzeptieren, den Schmerz aushalten und

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