Traumsammler: Roman (German Edition)
Entwurf eines Hauses samt Veranda, Giebeldach, Treppenhäusern und Innenwänden. Sie bastelten zuerst das Fundament, danach die Wände und Treppen, schlugen die Zeit tot, indem sie die Zahnstocher sorgsam zusammenklebten und die Teile trocknen ließen. In jungen Jahren, erzählte seine Mutter, vor ihrer Heirat, habe sie davon geträumt, Architektin zu werden.
Und einmal, sie bauten damals einen Wolkenkratzer, erzählte sie Adel, wie es zur Heirat mit seinem Vater gekommen war.
Er wollte eigentlich meine große Schwester heiraten , sagte sie.
Tante Nargis?
Ja. Das war in Kabul. Er sah sie eines Tages auf der Straße, und sein Entschluss stand sofort fest: Sie sollte es sein. Am nächsten Tag suchte er unser Haus auf, gemeinsam mit fünf seiner Männer. Sie luden sich mehr oder weniger selbst ein. Alle trugen Stiefel. Sie schüttelte lachend den Kopf, aber ihr Lachen klang nicht wie sonst, wenn sie etwas lustig fand. Du hättest die Gesichter deiner Großeltern sehen sollen.
Alle saßen im Wohnzimmer, Baba jan, seine Männer, ihre Eltern. Sie selbst kochte in der Küche Tee, während diskutiert wurde. Denn die Sache habe einen Haken gehabt, sagte sie: Ihre Schwester Nargis sei schon mit einem Cousin verlobt gewesen, der in Amsterdam Ingenieurwesen studierte, und ihre Eltern hätten sich gegen eine Auflösung der Verlobung ausgesprochen.
Und da komme ich herein, ein Tablett mit Tee und Gebäck in den Händen. Ich schenke ein und stelle das Essen auf den Tisch, und dein Vater schaut mir dabei zu, und als ich gehen will, sagt dein Vater: »Sie haben vielleicht recht. Es wäre nicht fair, die Verlobung aufzulösen. Aber wenn Sie mir sagen, dass diese junge Dame hier auch schon vergeben ist, muss ich wohl oder übel davon ausgehen, dass Sie mich nicht achten.« Dann lachte er. Und so haben wir geheiratet.
Sie griff nach einer Klebstofftube.
Mochtest du ihn denn?
Sie zuckte mit den Schultern. Um ehrlich zu sein, hatte ich damals vor allem Angst.
Aber jetzt magst du ihn, oder? Du liebst ihn.
Aber natürlich , sagte Adels Mutter. Was für eine Frage.
Du bereust es nicht, ihn geheiratet zu haben.
Sie legte den Klebstoff weg und zögerte kurz mit der Antwort. Schau dir unser Leben an , Adel, sagte sie dann langsam. Sieh dich um. Wer würde das bereuen? Sie zupfte lächelnd an einem seiner Ohrläppchen. Außerdem wärst du sonst nicht auf der Welt.
Adels Mutter stellte den Fernseher aus, setzte sich keuchend auf den Fußboden und rieb sich mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Nacken.
»Du solltest dir heute Vormittag allein die Zeit vertreiben«, sagte sie und drückte den Rücken durch. »Ich werde jetzt duschen gehen und etwas essen, und danach rufe ich deine Großeltern an. Ich habe seit einigen Tagen nicht mehr mit ihnen gesprochen.«
Adel kam seufzend auf die Beine.
Er ging in sein Zimmer, das sich ein Stockwerk tiefer und in einem anderen Flügel des Hauses befand, holte den Fußball und zog das Zidane-Trikot an, das er von Baba jan zu seinem letzten Geburtstag bekommen hatte, seinem zwölften. Als er nach unten ging, sah er, dass Kabir eingeschlafen war, die Zeitung wie eine Decke auf der Brust. Er nahm eine Dose Apfelsaft aus dem Kühlschrank und ging nach draußen.
Adel lief auf dem Kiesweg zum Haupteingang des Anwesens. Das Häuschen, in dem der bewaffnete Wachmann aufpasste, war leer. Adel wusste, wann die Wachmänner ihre Runden drehten. Er trat ins Freie und schloss das Tor hinter sich. Wie immer hatte er das Gefühl, auf dieser Seite der Mauer leichter atmen zu können. An manchen Tagen kam ihm das Anwesen vor wie ein Gefängnis.
Er ging im breiten Schatten der Mauer bis zur weit von der Straße entfernten Rückseite des Anwesens. Dort befand sich die Obstwiese, Baba jans ganzer Stolz. Einige Hektar Land mit langen, parallel angeordneten Reihen von Bäumen, Pfirsich und Apfel, Aprikose, Kirsche, Feige und auch Wollmispel. Wenn Adel hier mit seinem Vater spazieren ging, hob Baba jan ihn auf die Schultern, damit Adel zwei reife Äpfel für sie pflücken konnte. Zwischen Anwesen und Obstwiese erstreckte sich eine Lichtung mit dem Geräteschuppen der Gärtner. Davon abgesehen gab es dort nur einen Baumstumpf, offenbar das Überbleibsel einer gewaltigen, alten Eiche. Baba jan hatte gemeinsam mit Adel die Ringe gezählt und anhand dessen ausgerechnet, dass schon das Heer Dschingis Khans an dem Baum vorbeimarschiert sein musste. Diesen Baum, sagte er kopfschüttelnd, habe nur ein ausgemachter Dummkopf
Weitere Kostenlose Bücher