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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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dass wir jenseits unserer Vornamen, jenseits unserer Verwandtschaft zusammengehörten, dass wir beide ein Puzzle vervollständigten.
    Ich war überzeugt, dass etwas über mich enthüllt werden würde, wenn ich ihrer Geschichte nur aufmerksam genug lauschte.
    War dein Vater traurig? Weil er sie verkauft hat?
    Manche Menschen können ihre Trauer gut verbergen, Pari. Und er war ein solcher Mensch. Man sah es ihm nicht an. Er war ein harter Mann. Aber ich glaube, dass er insgeheim getrauert hat, ja.
    Und du?
    Mein Vater antwortete lächelnd: Warum sollte ich traurig sein? Ich habe ja dich. Aber ich spürte es schon damals, obwohl ich noch klein war: Die Trauer stand ihm ins Gesicht geschrieben, sie war wie ein Muttermal.
    Während wir uns unterhielten, phantasierte ich insgeheim: Ich würde alles sparen, keinen Dollar für Süßigkeiten oder Aufkleber ausgeben, und sobald mein Sparschwein voll war – nur war es kein Schwein, sondern eine auf einem Felsen sitzende Meerjungfrau –, würde ich es knacken, das ganze Geld einstecken und die kleine Schwester meines Vaters suchen gehen, wo auch immer sie sein mochte, und wenn ich sie gefunden hätte, würde ich sie zurückkaufen und nach Hause zu meinem Baba bringen. Ich würde meinen Vater glücklich machen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihm die Last dieser Trauer von den Schultern zu nehmen.
    Und was träume ich heute? , fragte Baba.
    Das weißt du doch.
    Er lächelte wieder. Ja, das weiß ich.
    Baba?
    Hm?
    War sie eine gute Schwester?
    Die beste, die man sich wünschen kann.
    Dann gab er mir einen Kuss auf die Wange und deckte mich bis zum Kinn zu. Nachdem er das Licht ausgeknipst hatte, blieb er noch kurz in der Tür stehen.
    Sie war wunderbar , sagte er. Genau wie du.
    Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlüpfte ich aus dem Bett, holte ein zweites Kissen und legte es neben meines. Wenn ich abends einschlief, spürte ich immer, wie Zwillingsherzen in meiner Brust schlugen.
    * * *
    Ich schaue auf die Uhr, als ich von der Old Oakland Road auf den Freeway einbiege. Schon 12:30 Uhr. Ich brauche vierzig Minuten bis zum Flughafen, vorausgesetzt, es gibt auf der 101 keine Behinderungen durch Unfälle oder Baustellen. Andererseits ist es ein internationaler Flug, und sie muss erst noch durch den Zoll, und das gibt mir vielleicht etwas Zeit. Ich wechsele auf die linke Spur und beschleunige den Lexus auf fast 130 Kilometer pro Stunde.
    Ich erinnere mich an ein kleines Wunder von Gespräch, das ich vor einem Monat mit Baba geführt habe. Es war eine flüchtige, kleine Blase der Normalität auf dem Grund eines tiefen, dunklen und kalten Ozeans. Ich brachte ihm das Mittagessen, war aber etwas spät dran, und er drehte auf der Liege den Kopf zu mir herum und bemerkte mit liebevoll kritischem Unterton, dass ich genetisch auf Unpünktlichkeit programmiert sei. Wie deine Mutter, möge Gott ihrer Seele gnädig sein.
    Andererseits , fuhr er fort, als wollte er mich trösten, hat jeder Mensch irgendeine kleine Macke.
    Und worin besteht die Macke, die Gott mir zugedacht hat? , fragte ich und stellte den Teller mit Reis und Bohnen auf seinen Schoß. In chronischer Unpünktlichkeit?
    Ja, aber Gott hat dabei lange gezaudert, möchte ich meinen . Er griff nach meinen Händen. Denn er hat dich zu fast hundert Prozent vollkommen erschaffen.
    Tja, ich kläre dich gern über weitere Macken auf.
    Du versteckst sie vor mir, wie?
    Oh, ja. Jede Menge. Jederzeit bereit, sie zu offenbaren, sobald du alt und hilflos bist.
    Ich bin alt und hilflos.
    Jetzt drückst du auf die Tränendrüse.
    Ich drehe am Radio, von einer Talk-Sendung zu Country zu Jazz und dann zu einer anderen Talk-Sendung. Ich stelle aus. Ich bin unruhig und nervös. Ich nehme das Handy vom Beifahrersitz, rufe zu Hause an, lege das aufgeklappte Telefon in meinen Schoß.
    »Hallo?«
    »Salaam, Baba. Ich bin es.«
    »Pari?«
    »Ja, Baba. Ist daheim, bei dir und Hector, alles in Ordnung?«
    »O ja. Ein netter junger Typ. Er hat für uns Eier in die Pfanne gehauen. Wir haben sie auf Toast gegessen. Wo bist du?«
    »Mit dem Auto unterwegs«, antworte ich.
    »Zum Restaurant? Du hast heute keine Schicht, oder?«
    »Nein, ich fahre zum Flughafen, Baba. Ich hole jemanden ab.«
    »Gut. Ich werde deine Mutter bitten, für uns Mittagessen zu machen«, sagt er. »Vielleicht kann sie etwas aus dem Restaurant mitbringen.«
    »Alles klar, Baba.«
    Er erwähnt sie zu meiner Erleichterung nicht noch einmal. Doch an manchen

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