Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
Vom Netzwerk:
Tagen spricht er ständig von ihr. Warum verrätst du mir nicht, wo sie ist, Pari? Wird sie operiert? Lüg mich ja nicht an! Warum belügt mich jeder? Ist sie weg? Ist sie in Afghanistan? Dann fliege ich hin! Ich fliege nach Kabul, und du wirst mich nicht davon abhalten. So geht es immer weiter, während Baba verzweifelt auf und ab läuft, und ich füttere ihn mit Lügen, versuche, ihn mit seiner Sammlung von Baumarktkatalogen oder irgendeiner Fernsehsendung abzulenken. Manchmal klappt das, aber an anderen Tagen ist er gegen meine Tricks immun. Wenn er sich so viele Sorgen macht, ist er in Tränen aufgelöst, wird hysterisch. Er schlägt sich gegen den Kopf, schaukelt auf dem Stuhl hin und her und schluchzt mit zitternden Beinen, bis ich ihm schließlich ein Lorazepam geben muss. Dann warte ich ab, bis sein Blick sich eintrübt, und sobald das geschieht, lasse ich mich erschöpft auf das Sofa fallen, bin selbst den Tränen nahe. Ich schaue sehnsüchtig zur Haustür, würde am liebsten hinaus ins Freie gehen, immer weiter gehen, aber dann stöhnt Baba im Schlaf, und ich werde aus dem Tagtraum gerissen, und ein nagendes Schuldgefühl überkommt mich.
    »Kann ich kurz mit Hector sprechen, Baba?«
    Der Hörer wird weitergereicht. Im Hintergrund höre ich das Publikum einer Gameshow johlen, dann ertönt Applaus.
    »Hey, Kleine.«
    Hector Juarez wohnt gegenüber. Wir sind schon seit einer Ewigkeit Nachbarn und seit einigen Jahren befreundet. Er kommt während der Woche ab und zu vorbei, und dann futtern wir Junk-Food und schauen bis spät in die Nacht Trash im Fernsehen, meist Reality-Shows. Wir essen kalte Pizza und schütteln angesichts der Albernheiten und Dramen auf dem Bildschirm angewidert und fasziniert den Kopf. Hector war als Marine in Afghanistan. Vor einigen Jahren wurde er bei der Explosion einer Sprengfalle schwer verletzt. Als er nach seiner Behandlung als Kriegsveteran zurückkehrte, begrüßte ihn die ganze Nachbarschaft. Seine Eltern hatten ein Banner mit der Aufschrift Willkommen zu Hause, Hector im Hof aufgehängt und mit Luftballons und vielen Blumen geschmückt. Alle klatschten, als das Auto vor dem Haus hielt. Mehrere Nachbarn hatten Kuchen gebacken. Man dankte ihm für seinen Einsatz. Die Leute sagten: Du musst jetzt stark sein. Gott segne dich. Hectors Vater, Cesar, kam ein paar Tage später zu uns, und zusammen mit ihm brachte ich die gleiche Rollstuhlrampe an, die er vor seiner eigenen Haustür angebracht hat und über der die amerikanische Flagge hängt. Ich weiß noch, dass ich während der Arbeit das Bedürfnis verspürte, mich bei Cesar für das zu entschuldigen, was Hector in der Heimat meines Vaters widerfahren war.
    »Hi«, sage ich. »Wollte nur mal hören, ob alles in Ordnung ist.«
    »Alles bestens«, sagt Hector. »Wir haben gerade gegessen. Und Der Preis ist heiß geschaut. Jetzt hängen wir bei Glücksrad ab. Danach läuft Familienduell .«
    »Autsch. Tut mir leid.«
    »Aber wieso denn, mija ? Wir amüsieren uns. Nicht wahr, Abe?«
    »Danke, dass du ihm Eier gebraten hast«, sage ich.
    Hector senkt die Stimme. »Pfannkuchen, um genau zu sein. Und weißt du was? Er war begeistert. Hat vier Stück verputzt.«
    »Du hast was gut bei mir.«
    »Hey, ich mag dein neues Bild, Kleine. Das Kind mit dem lustigen Hut. Abe hat es mir gezeigt. Er war wahnsinnig stolz. Und ich habe sowas gesagt wie: Scheiße, Mann! Natürlich bist du stolz, was denn sonst?«
    Ich lächele und wechsele auf die rechte Spur, um einen Drängler vorbeizulassen. »Dann weiß ich ja, was ich dir zu Weihnachten schenke.«
    »Warum können wir eigentlich nicht heiraten?«, fragt Hector. Ich höre, wie Baba im Hintergrund protestiert, und Hector, der den Hörer gesenkt hat, lacht auf. »War nur ein Witz, Abe. Nimm mich nicht so ernst. Ich bin ein Krüppel.« Dann, an mich gewandt: »Ich glaube, dein Vater hat mir gerade sein Paschtunen-Ich gezeigt.«
    Ich erinnere ihn daran, dass Baba noch seine mittägliche Dosis Tabletten einnehmen muss, und beende das Gespräch.
    * * *
    So ähnlich muss es sein, wenn man das Foto eines Radiomoderators zum ersten Mal sieht, den man sich anhand der Stimme ganz anders vorgestellt hat. Erstens ist sie alt. Jedenfalls gealtert. Das wusste ich natürlich. Ich hatte nachgerechnet und sie auf Anfang sechzig geschätzt. Aber es fällt mir schwer, diese schlanke, grauhaarige Frau mit dem kleinen Mädchen in Übereinstimmung zu bringen, das ich mir immer vorgestellt habe, eine Dreijährige mit

Weitere Kostenlose Bücher