Traumsammler: Roman (German Edition)
Cousins kann deine Schwester heiraten. Er passt gut zu ihr. Die beiden können gemeinsam das Feld meines Onkels abgrasen.
Masooma zerriss den Zettel. Mach dir nichts daraus, Parwana , sagte sie. Das sind Schwachköpfe.
Mistkerle , stimmte Parwana zu.
Es kostete sie unendliche Mühe, ein Grinsen aufzusetzen. Die Botschaft war schlimm genug, aber noch schlimmer war Masoomas Reaktion. Die Botschaft des Jungen war nicht ausdrücklich an eine von ihnen beiden gerichtet, aber Masooma war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Gedicht für sie und der Cousin für Parwana bestimmt war. Parwana begriff, wie ihre Schwester sie sah. Genau so, wie auch alle anderen sie sahen. Die Worte Masoomas ließen ihr das Herz schwer werden und schmetterten sie nieder.
Außerdem , fügte Masooma grinsend und schulterzuckend hinzu, bin ich sowieso schon vergeben.
* * *
Nabi stattet ihnen seinen monatlichen Besuch ab. Er ist der Held der Familie, vielleicht sogar des ganzen Dorfes, denn er arbeitet in Kabul, und er besucht Shadbagh in dem großen, glänzenden, blauen Auto seines Arbeitgebers mit einem Adler als Kühlerfigur, und die Dorfkinder rennen johlend neben dem Auto her.
»Na, wie geht’s?«, fragt er.
Sie sitzen zu dritt im Haus bei Tee und Mandeln. Parwana findet, dass Nabi blendend aussieht: feine, wie ziseliert wirkende Wangenknochen, haselnussbraune Augen, Koteletten und dichtes, schwarzes, nach hinten gekämmtes Haar. Wie üblich trägt er seinen eine oder zwei Nummern zu großen, olivgrünen Anzug. Nabi ist stolz auf diesen Anzug, das weiß Parwana, denn er zupft immer wieder an den Ärmeln, richtet die Aufschläge, streicht die Hosenfalten glatt. Nur den Hauch von verbrannten Zwiebeln, den wird er nicht los.
»Gestern hat uns Königin Homaira zum Tee besucht und ein paar Kekse geknabbert«, sagt Masooma. »Sie hat uns zu unserer geschmackvollen Einrichtung gratuliert.« Als sie ihren Bruder liebevoll anlächelt, entblößt sie ihre gelben Zähne, und Nabi lacht, den Blick auf die Tasse gesenkt. Er hat Parwana bei der Pflege Masoomas geholfen, bevor er in Kabul Arbeit fand. Zumindest hat er es eine Weile versucht, aber es war zu viel für ihn. Er war damit überfordert und deshalb froh, nach Kabul entkommen zu können. Parwana beneidet ihren Bruder, ist ihm aber nicht böse – sie weiß, dass das Geld, das er ihr monatlich bringt, mehr als nur Buße ist.
Masooma hat sich die Haare gekämmt und die Augen wie immer, wenn Nabi kommt, mit etwas Kajal geschminkt. Parwana weiß, dass sie dies nicht nur tut, weil sie ihn gern hat, sondern auch, weil er ihr Kontakt nach Kabul ist. Masooma glaubt, durch ihren Bruder mit Glanz und Luxus verbunden zu sein, mit einer Stadt voller Autos und Lichter, schicker Restaurants und Königspaläste, egal, wie abstrakt diese Verbindung auch sein mag. Parwana kann sich noch daran erinnern, dass Masooma früher einmal gesagt hat, sie sei ein Großstadtmädchen, das in einem Dorf in der Falle sitze.
»Und? Hast du endlich eine Frau gefunden?«, fragt Masooma ausgelassen.
Nabi winkt ab und lacht die Frage weg, wie damals, als seine Eltern ihn das Gleiche fragten.
»Wann zeigst du mir wieder mal Kabul, Bruder?«, fragt Masooma.
Nabi hat die beiden vor einem Jahr in Shadbagh abgeholt und nach Kabul chauffiert. Er ist mit ihnen durch die ganze Stadt gefahren, hat ihnen alle Moscheen, die Einkaufsviertel, Kinos und Restaurants gezeigt. Er hat Masooma den Bagh-e-Bala-Palast gezeigt, der auf einem Hügel über der Stadt thront. Er hat sie vom Beifahrersitz gehoben und durch die Gärten von Babur bis zur Grabstätte des Großmoguls getragen. Sie haben in der Shahjahani-Moschee gebetet, alle drei, und danach am Rand eines blaugekachelten Bassins das von Nabi mitgebrachte Essen verzehrt. Für Masooma ist es der glücklichste Tag seit ihrem Unfall gewesen, und Parwana ist ihrem großen Bruder dankbar dafür.
»Bald, Inshallah «, sagt Nabi und schnippt gegen die Tasse.
»Würdest du bitte das Kissen unter meinen Knien richten, Nabi? Ah, viel besser. Danke.« Masooma seufzt. »Ich fand Kabul großartig. Wenn ich könnte, würde ich mich gleich morgen zu Fuß auf den Weg dorthin machen.«
»Vielleicht schon bald«, sagt Nabi.
»Du meinst, ich gehe bald zu Fuß dorthin?«
»Nein«, stottert er, »ich meine …« Er muss grinsen, als Masooma in schallendes Gelächter ausbricht.
Nabi gibt Parwana draußen das Geld. Er lehnt sich mit der Schulter gegen die Wand und steckt sich eine
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