Traumsammler: Roman (German Edition)
Tabak und stopft die Pfeife mit der Mischung. Sie entzündet das Kohlestückchen und reicht die Wasserpfeife ihrer Schwester. Masooma nimmt einen tiefen Zug, lehnt sich zurück und bittet darum, ihre Beine auf den Schoß ihrer Schwester legen zu dürfen. Parwana hebt die tauben Beine auf ihre Oberschenkel.
Beim Rauchen entspannt sich Masoomas Gesicht. Ihre Lider werden schwer. Ihr Kopf sackt immer wieder zur Seite, sie spricht etwas benommen. Sie verzieht die Mundwinkel zu einem sonderbar trägen Lächeln, das eher selbstzufrieden als froh wirkt. Wenn Masooma in diesem Zustand ist, reden die beiden wenig. Parwana lauscht dem Wind und dem in der Pfeife blubbernden Wasser. Sie betrachtet die Sterne und den über sie hinwegziehenden Rauch. Die Stille tut gut, und keine der beiden Schwestern verspürt den Drang, sie mit unnützen Worten zu füllen.
Bis Masooma schließlich fragt: »Tust du mir einen Gefallen?«
Parwana schaut sie an.
»Ich möchte, dass du mich nach Kabul bringst.« Masooma bläst bedächtig den Rauch aus, der sich kräuselt und windet und dabei unablässig die Gestalt verändert.
»Ist das dein Ernst?«
»Ich möchte den Darul-Aman-Palast sehen. Das haben wir letztes Mal nicht geschafft. Und ich möchte noch einmal die Grabstätte Baburs besuchen.«
Parwana beugt sich vor, um Masoomas Miene zu ergründen. Sie sucht nach einem Anzeichen dafür, dass es nur als Scherz gemeint ist, aber ihre Schwester zuckt mit keiner Wimper, der Blick ihrer glitzernden Augen ist ruhig.
»Zu Fuß dauert es mindestens zwei Tage. Vielleicht drei.«
»Stell dir Nabis Gesicht vor, wenn wir plötzlich vor seiner Tür stehen.«
»Wir wissen ja nicht mal, wo er wohnt.«
Masooma wischt den Einwand mit einer Handbewegung weg. »Er hat uns doch den Namen des Viertels gesagt. Wir klopfen an ein paar Türen und erkundigen uns nach ihm. Das kann doch nicht so schwer sein.«
»Und wie kommen wir da hin, Masooma? Denk an deinen Zustand.«
Masooma setzt das Mundstück der Pfeife von den Lippen ab. »Während du heute gearbeitet hast, ist Mullah Shekib vorbeigekommen, und ich habe mich lange mit ihm unterhalten. Ich habe ihm erzählt, dass ich ein paar Tage in Kabul verbringen möchte. Mit dir. Er hat mir seinen Segen gegeben. Und sein Maultier versprochen. Wie du siehst, habe ich an alles gedacht.«
»Du bist verrückt«, sagt Parwana.
»Kann sein. Aber ich möchte es so. Es ist mein ausdrücklicher Wunsch.«
Parwana lehnt sich kopfschüttelnd zurück. Sie hebt den Kopf, sieht zum dunklen, bewölkten Himmel auf.
»Ich langweile mich zu Tode, Parwana.«
Parwana seufzt tief auf und mustert ihre Schwester.
Masooma setzt die Pfeife wieder an. »Bitte. Schlag mir das nicht ab.«
* * *
Eines frühen Morgens, die Schwestern waren damals siebzehn, saßen sie hoch oben in der Eiche auf einem Ast und ließen die Beine baumeln.
Saboor wird mich bitten! , flüsterte Masooma aufgeregt.
Dich bitten? , fragte Parwana, die nicht gleich begriff.
Na, ja, natürlich nicht selbst. Masooma lachte hinter vorgehaltener Hand. Sein Vater wird es tun.
Da begriff Parwana. Ihr Herz sank in tiefste Tiefen. Woher weißt du das? , fragte sie mit tauben Lippen.
Masooma begann zu erzählen, plapperte wie ein Wasserfall, aber Parwana hörte nicht hin. Sie stellte sich vor, wie ihre Schwester Saboor heiratete. Kinder in feinen Kleidern, in den Händen vor Blumen überquellende Henna-Körbe, gefolgt von Musikern, die shahnai und dohol spielten. Saboor, der Masoomas Faust öffnete, das Henna in ihre Hand drückte und mit einem weißen Band befestigte. Danach die Gebete, die Segnung der Ehe. Der Austausch von Gaben. Der Blick, den beide unter dem mit Goldfäden bestickten Schleier tauschten, bevor sie einander je einen Löffel süßen Sorbets und einen mit malida in den Mund schoben.
Und sie, Parwana, wäre dort, unter den Gästen, und müsste alles mit ansehen. Man würde von ihr erwarten, dass sie lächelte, klatschte, glücklich war, obwohl ihr Herz zerbrach, in tausend Stücke ging.
Ein Wind fuhr durch den Baum. Das Laub raschelte, und die Äste schwankten. Parwana musste sich festhalten.
Masooma war verstummt. Sie biss sich grinsend auf die Unterlippe. Du hast mich gefragt, woher ich weiß, dass er mich bitten wird. Ich verrate es dir. Nein. Ich zeige es dir.
Sie wandte sich von Parwana ab und kramte in der Tasche.
Und da geschah etwas, von dem Masooma bis zum heutigen Tag nichts weiß. Während sie ihrer Schwester den Rücken
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