Traumsammler: Roman (German Edition)
Zigarette an. Masooma macht im Haus ihren Nachmittagsschlaf.
»Ich bin Saboor begegnet«, sagt Nabi und kratzt sich an einem Finger. »Schreckliche Sache. Er hat mir gesagt, wie sein Baby heißt, aber ich habe den Namen vergessen.«
»Pari«, sagt Parwana.
Er nickt. »Er hat mir ungefragt erzählt, dass er eine neue Frau sucht.«
Parwana wendet den Blick ab, versucht so zu tun, als wäre es ihr gleichgültig, aber das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Sie spürt, wie sie am ganzen Körper zu schwitzen beginnt.
»Saboor hat es von sich aus angesprochen. Er hat mich zur Seite genommen. Hat mich zur Seite genommen und es mir erzählt.«
Parwana argwöhnt, dass Nabi weiß, was sie während all der Jahre für Saboor empfunden hat. Masooma ist vielleicht ihre Zwillingsschwester, aber wenn irgendjemand wirklich weiß, was in ihr vorgeht, dann ist es Nabi. Parwana begreift trotzdem nicht, warum er ihr das erzählt. Sie hat sowieso keine Chance. Saboor braucht eine ungebundene Frau, eine Frau ohne jede Verpflichtungen, die sich nur um ihn, seinen Sohn und seine neugeborene Tochter kümmern kann. Sie hingegen hat alle Hände voll zu tun. Ihre Zeit ist verplant. Ihr ganzes Leben ist vorgezeichnet.
»Er findet bestimmt jemanden«, sagt Parwana.
Nabi nickt. »Ich komme nächsten Monat wieder.« Er tritt die Zigarette aus und bricht auf.
Als Parwana wieder hineingeht, stellt sie überrascht fest, dass Masooma gar nicht schläft. »Ich dachte, du hältst ein Nickerchen.«
Masooma wendet ihren Blick dem Fenster zu und blinzelt träge.
* * *
Mit dreizehn erledigten die Mädchen für ihre Mutter ab und zu Besorgungen auf den Basaren nahe gelegener Städte. Von den ungepflasterten Straßen stieg der Geruch von frisch versprühtem Wasser auf. Die Schwestern schlenderten durch die Gassen, vorbei an Ständen, die Wasserpfeifen anboten, Seidentücher, Kupfertöpfe, alte Uhren. Geschlachtete, kopfüber aufgehängte Hühner drehten sich langsam über Lamm- und Rindfleischstücken.
Parwana bemerkte, dass alle in den Gassen sitzenden Männer Masooma anstarrten, wenn sie vorbeiging. Sie bemerkte, dass die Männer sich möglichst normal zu verhalten versuchten, den Blick aber nicht von Masooma losreißen konnten. Und wenn Masooma einmal in ihre Richtung sah, wirkten sie auf fast lächerliche Art geschmeichelt, schienen sich einzubilden, einen kurzen Moment mit ihr geteilt zu haben. Bei Masoomas Anblick brachen Gespräche mitten im Satz ab, Männer nahmen die Zigarette während eines Zuges aus dem Mund, Knie begannen zu zittern, Tee wurde verschüttet.
An manchen Tagen war das zu viel für Masooma, dann schien sie sich fast dafür zu schämen und erzählte Parwana, dass sie bis zum Abend im Haus bleiben, nicht angestarrt werden wolle. Und an solchen Tagen glaubte Parwana, dass ihre Schwester im tiefsten Inneren ahnte, was ihre Schönheit war: eine Waffe. Ein geladenes Gewehr, dessen Mündung auf ihren eigenen Kopf gerichet war. Trotzdem schien ihr die Aufmerksamkeit zu gefallen. An den meisten Tagen genoss sie es, die Gedanken eines Mannes mit einem flüchtigen, aber genau kalkulierten Lächeln zu verwirren oder jemanden zum Stottern zu bringen.
Sie war bildschön.
Und Parwana schlurfte nebenher, mit ihrer flachen Brust und dem gelblichen Teint, den struppigen Haaren, mürrischer Miene, dicken Handgelenken und breiten Schultern. Ein kläglicher Schatten ihrer Zwillingsschwester, einerseits neidisch und andererseits froh, mit Masooma gesehen zu werden und auch etwas Aufmerksamkeit abzubekommen – wie sich ein Unkraut am Wasser labt, das eigentlich für die weiter flussaufwärts wachsende Lilie gedacht ist.
Parwana hatte ihr ganzes Leben lang darauf geachtet, niemals neben ihrer Schwester vor einem Spiegel zu stehen. Wenn sie ihr Gesicht neben dem Masoomas erblickt hätte, wenn ihr in aller Deutlichkeit bewusst geworden wäre, was ihr fehlte, hätte sie jede Hoffnung begraben. Aber in der Öffentlichkeit waren die Augen eines jeden Fremden wie ein Spiegel. Dem konnte sie nicht entkommen.
* * *
Sie trägt Masooma nach draußen. Die beiden sitzen auf dem charpai , das Parwana aufgestellt hat. Sie legt die Kissen so hin, dass Masooma sich bequem gegen die Wand lehnen kann. Der Abend ist still, nur die Grillen zirpen, und bis auf wenige Lampen, die in den Fenstern schimmern, und dem bleichen Licht des fast vollen Mondes ist es dunkel.
Parwana füllt die Wasserpfeife, gibt zwei streichholzkopfgroße Portionen Opium in den
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