Traumsammler: Roman (German Edition)
Hochzeit und lauscht der gedämpften Musik. Ich vertrieb mir die Zeit eine Weile mit Kartenspielen. Als mir langweilig wurde, stieg ich aus und ging ein bisschen auf und ab. Danach setzte ich mich wieder ins Auto, um vor der Rückkehr von Herrn Wahdati etwas zu schlafen.
Da ging das Tor auf, und eine junge, schwarzhaarige Frau trat ins Freie. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille und ein orangefarbenes, kurzärmeliges Kleid. Ihre Füße waren nackt, die Unterschenkel unbedeckt. Ich fragte mich, ob sie mich im Auto sitzen sah – wenn ja, dann gab sie dies durch keine Regung zu erkennen. Sie lehnte sich mit einem Fuß gegen die Mauer, und dabei rutschte ihr Kleid hoch und entblößte einen Teil ihres Oberschenkels. Meine Wangen begannen zu brennen, und ich spürte die Röte bis in den Nacken.
Bitte erlauben Sie, Mr Markos, dass ich an dieser Stelle ein etwas geschmackloses Geständnis ablege, eines, das ich nicht schönreden kann. Ich war damals ungefähr Ende zwanzig, ein Alter, in dem das Verlangen eines jungen Mannes nach einer Frau am stärksten ist. Anders als viele der Männer im Dorf, mit denen ich aufgewachsen war – junge Männer, die noch nie den nackten Oberschenkel einer erwachsenen Frau gesehen hatten und nicht zuletzt deshalb heirateten, um einen solchen Anblick genießen zu dürfen –, war ich nicht ganz unerfahren. Ich hatte in Kabul Etablissements entdeckt, gelegentlich auch aufgesucht, in denen man die Bedürfnisse eines jungen Mannes diskret und umstandslos befriedigte. Ich erwähne dies nur, weil ich darauf hinauswill, dass keine der Huren, mit denen ich geschlafen habe, mit dem bildschönen und anmutigen Geschöpf vergleichbar war, das gerade aus dem großen Haus getreten war.
An die Mauer gelehnt, zündete sie sich eine Zigarette an, die sie in aller Ruhe und mit betörender Eleganz rauchte: Sie hielt sie zwischen zwei Fingerspitzen und legte die Hand, wenn sie daran zog, wie einen Fächer vor den Mund. Ich beobachtete sie hingerissen. Die Art, wie sie ihre Hand über dem schmalen Handgelenk anwinkelte, erinnerte mich an eine Illustration, die ich einmal in einem Prachtband mit Gedichten gesehen hatte – sie zeigte eine Frau mit dunklen, fließenden Haaren und langen Wimpern, die in einem Garten neben ihrem Liebhaber lag und diesem mit blassen, zarten Fingern einen Becher Wein anbot. Nach einer Weile schien irgendetwas weiter oben in der Straße die Aufmerksamkeit der Frau zu erregen, und ich nutzte die Gelegenheit, um mit den Fingern durch mein Haar zu fahren, das wegen der Hitze am Kopf klebte. Ich erstarrte noch einmal, als die Frau ihren Blick von dem abwandte, was sie beobachtet hatte. Sie zog noch einige Male an der Zigarette, drückte sie an der Mauer aus und schlenderte dann wieder hinein.
Ich konnte endlich aufatmen.
An diesem Abend rief Herr Wahdati mich zu Hause ins Wohnzimmer und sagte: »Es gibt Neuigkeiten, Nabi. Ich werde heiraten.«
Wie es schien, hatte ich sein Bedürfnis nach Einsamkeit stark überschätzt.
Die Nachricht von der Verlobung machte rasch die Runde. Ebenso die Gerüchte. Sie kamen mir durch die anderen Männer zu Ohren, die im Haus von Herrn Wahdati arbeiteten. Der redseligste unter ihnen war Zahid, ein Gärtner, der dreimal pro Woche kam, um sich um den Rasen, die Bäume und die Sträucher zu kümmern, ein unangenehmer Typ, der die widerwärtige Angewohnheit hatte, nach jedem Satz die Zunge herausschnellen zu lassen, eine Zunge, die Gerüchte so freigiebig verstreute wie seine Hand den Dünger. Er gehörte zu einer Clique langgedienter Arbeiter, die in der Nachbarschaft als Köche, Gärtner oder Botengänger tätig waren. An ein oder zwei Abenden in der Woche kamen sie nach dem Abendessen auf einen Tee in meine Hütte. Ich weiß nicht mehr, wie dieses Ritual aufkam, aber nachdem es sich eingespielt hatte, konnte ich nichts mehr dagegen tun, zumal ich nicht grob und unfreundlich sein oder, schlimmer noch, den Eindruck erwecken wollte, mich als etwas Besseres als die anderen zu fühlen.
Eines Abends erzählte Zahid beim Tee, dass die Familie von Herrn Wahdati die Heirat wegen des schlechten Leumunds seiner Braut missbilligte. In Kabul, berichtete er, sei allseits bekannt, dass sie weder nang noch namoos habe, also keine Ehre, und mit ihren zwanzig Jahren schon »sehr oft geritten« worden sei. Sie sei so oft in der Stadt unterwegs wie der Wagen von Herrn Wahdati. Am schlimmsten, sagte er, sei aber, dass sie nicht nur keinen Versuch unternehme, diese Vorwürfe
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