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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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zu entkräften, sondern, ganz im Gegenteil, auch noch Gedichte darüber schreibe. Bei diesen Worten erhob sich abfälliges Gemurmel. Einer der Männer meinte, in seinem Dorf hätte man ihr längst die Kehle durchgeschnitten.
    Da stand ich auf und sagte den Männern, ich hätte genug. Sie klatschten und tratschten wie alte Waschweiber, und ich erinnerte sie daran, dass wir ohne Männer wie Herrn Wahdati noch immer Kuhdung in unseren Dörfern aufklauben würden. Wo bleibt eure Treue, wo euer Respekt?, fragte ich. 
    Daraufhin trat kurz Schweigen ein. Ich bildete mir ein, diese Dummköpfe beeindruckt zu haben, aber stattdessen brachen sie in schallendes Gelächter aus. Zahid meinte, ich sei ein Arschkriecher, und die zukünftige Dame des Hauses werde sicher bald Verse mit dem Titel Ode auf Nabi, den größten Arschkriecher Afghanistans verfassen. Hämisches Lachen brandete auf, und ich stapfte zornig aus der Hütte.
    Aber ich lief nicht weit weg. Ihr Geschwätz widerte mich zwar an, aber es faszinierte mich zugleich. Also blieb ich trotz meines Anfalls erboster Rechtschaffenheit in Hörweite, denn ich wollte kein einziges schlüpfriges Detail verpassen.
    Nach einer denkbar kurzen Verlobungszeit fand die Hochzeit statt. Es war keine große Feier mit Sängern und Tänzern und einer fröhlichen Gästeschar, nein, es erschienen lediglich ein Mullah und ein Trauzeuge, und das Paar unterschrieb eilig die Papiere. Und kurz darauf, keine zwei Wochen, nachdem ich sie zum ersten Mal erblickt hatte, zog Frau Wahdati bei uns ein.
    * * *
    Ich möchte hier kurz innehalten, um Sie darauf hinzuweisen, dass ich Herrn Wahdatis Frau in diesem Brief von nun an Nila nennen werde. Ich muss wohl nicht erst erwähnen, dass ich mir damit eine Freiheit nehme, die mir damals nicht gestattet war und die ich nicht einmal dann akzeptiert hätte, wenn sie mir angeboten worden wäre. Ich habe sie immer mit der gebotenen Unterwürfigkeit als Bibi Sahib angeredet. Aber dieser Brief verlangt, dass ich auf Förmlichkeiten verzichte und sie so nenne, wie ich es in Gedanken sowieso immer getan habe.
    Gut. Ich wusste von Anfang an, dass es eine unglückliche Ehe war. Die beiden tauschten fast nie liebevolle Blicke oder zärtliche Worte. Sie wohnten zwar im selben Haus, aber ihre Wege kreuzten sich selten.
    Ich servierte Herrn Wahdati morgens ein Frühstück, das stets aus einem getoasteten Stück Naan-Brot, einer halben Tasse Walnüsse, grünem Tee mit etwas Kardamon und ohne Zucker sowie einem gekochten Ei bestand – es musste so weich gekocht sein, dass das Eigelb auslief, sobald er das Ei köpfte, und mein anfängliches Unvermögen, es so zu kochen, ärgerte mich. Während ich Herrn Wahdati auf seinem morgendlichen Spaziergang begleitete, schlief Nila noch. Sie stand oft erst gegen Mittag auf, manchmal sogar noch später. Wenn sie endlich aus dem Bett kam, hatte ich meist schon das Mittagessen für Herrn Wahdati zubereitet.
    Während ich vormittags meinen Pflichten nachging, sehnte ich mich nach dem Moment, wenn Nila durch die Tür mit dem Fliegengitter auf die Veranda trat. Ich malte mir aus, wie sie aussehen würde: Hätte sie das Haar aufgesteckt oder im Nacken zu einem Knoten gebunden oder würde es offen über ihre Schultern fallen? Hätte sie eine Sonnenbrille auf? Würde sie Sandalen tragen? Würde sie sich für den blauseidenen Morgenmantel mit Gürtel entscheiden oder für den magentafarbenen mit den großen, runden Knöpfen?
    Wenn sie endlich erschien, beschäftigte ich mich hinten auf dem Hof und tat so, als müsste die Kühlerhaube des Autos dringend poliert werden, oder ich bewässerte wahllos einen Rosenstrauch und behielt sie die ganze Zeit im Blick. Ich sah zu, wie sie sich die Sonnenbrille auf die Stirn schob und sich die Augen rieb, wie sie ihr Haarband abnahm und ihre üppigen, dunklen Locken mit einer Kopfbewegung in den Nacken warf, wie sie mit dem Kinn auf die Knie gestützt dasaß, in den Garten schaute und dabei träge an der Zigarette zog oder die Beine übereinanderschlug und mit dem Fuß wippte, eine Bewegung, die, wie ich fand, von Langeweile oder innerer Unruhe, vielleicht auch von einem mühsam gezähmten Drang zu bedenkenlosem Unfug zeugte.
    Herrn Wahdati sah ich nur gelegentlich an ihrer Seite. Er verbrachte die Tage wie zuvor, las im Arbeitszimmer oder zeichnete, führte genau genommen sein Junggesellendasein fort. Nila schrieb fast täglich, entweder im Wohnzimmer oder auf der Veranda, eine Zigarette im Mund, einen

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