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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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an sich ranlassen, heißt es immer«, sagt sie. »In meinem Job wird einem eingeschärft, professionell zu sein, nichts an sich heranzulassen. Es ist verkehrt, Gefühle zu entwickeln. Aber Roshi und ich …«
    Die Musik bricht plötzlich ab. Wieder ein Stromausfall. Für kurze Zeit ist alles dunkel, nur der Mond scheint. Die Leute im Haus sind genervt. Halogenlampen flammen auf.
    »Ich kämpfe für sie«, sagt Amra, die den Blick weiter gesenkt hält. »Ich gebe nicht auf.«
    * * *
    Am nächsten Tag fährt Timur mit den Deutschen nach Istalif, einer für ihre Töpferkunst bekannten Stadt. »Komm doch mit.«
    »Ich bleibe lieber hier und lese«, sagt Idris.
    »Das kannst du doch auch in San José, Alter.«
    »Ich muss mich erholen. Ich glaube, ich habe gestern Abend zu viel getrunken.«
    Nachdem Timur von den Deutschen abgeholt worden ist, bleibt Idris noch eine Weile im Bett liegen und starrt das an der Wand hängende, verblasste Werbeplakat aus den 60er Jahren an. Es zeigt vier lächelnde, blonde Touristen, die auf den Band-e-Amir-Seen segeln, ein Relikt seiner eigenen Kabuler Kindheit, vor den Kriegen, vor dem Zerfall. Am frühen Nachmittag bricht er zu einem Spaziergang auf, isst in einem kleinen Restaurant Kabob zu Mittag. Er kann das Essen nicht recht genießen, weil er währenddessen von zahlreichen schmutzigen, jungen Gesichtern begafft wird, die vor der Scheibe auftauchen. Das strengt ihn an, und er muss sich eingestehen, dass Timur besser damit umgehen kann. Timur begreift es als Spiel. Er pfeift wie ein Unteroffizier beim Drill, lässt die bettelnden Kinder antreten und zückt ein paar Scheine aus seinem bakschisch -Bündel. Und während er einen Schein nach dem anderen verteilt, knallt er die Hacken zusammen und salutiert. Die Kinder finden das großartig. Sie salutieren auch. Sie nennen ihn Kaka. Manchmal klammern sie sich an seinen Beinen fest.
    Nach dem Essen steigt Idris in ein Taxi und lässt sich zum Krankenhaus fahren.
    »Halten Sie bitte kurz beim Basar«, sagt er.
    Er geht mit der Kiste durch den Krankenhausflur, vorbei an mit Graffiti bedeckten Wänden, an Zimmern, die Plastikplanen statt Türen haben, an einem barfüßigen Greis mit Augenverband, an Patienten, die in heißen, stickigen Zimmern ohne Licht liegen. Ein säuerlicher Körpergeruch hängt in der Luft. Idris verharrt am Ende des Flurs vor dem Vorhang, dann zieht er ihn auf. Er verspürt einen Stich im Herzen, als er das auf der Bettkante hockende Mädchen erblickt. Amra kniet vor ihr und putzt ihr die Zähne. Auf der anderen Seite des Bettes sitzt ein hagerer, sonnenverbrannter Mann mit Kinnbärtchen und struppigen, dunklen Haaren. Er steht rasch auf, als Idris eintritt, legt eine Hand auf die Brust und verneigt sich. Er sei, erklärt er, Roshis Onkel, der Bruder ihrer Mutter.
    »Da bist du ja wieder«, sagt Amra und taucht die Zahnbürste in einen Becher mit Wasser.
    »Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
    »Warum nicht«, erwidert sie.
    Idris räuspert sich. »Salaam, Roshi.«
    Das Mädchen schaut Amra fragend an. Ihre Stimme ist ein zögerndes Flüstern. »Salaam.«
    »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.« Idris setzt die Kiste ab und öffnet sie. Roshis Augen blitzen lebhaft auf, als Idris Fernseher und Videorekorder herausholt. Er zeigt ihr die vier Filme, die er gekauft hat. In dem Geschäft gab es vor allem Bollywood-Produktionen, Martial-Arts-Filme mit Jet Li, Action-Reißer mit Jean Claude van Damme und alle Streifen mit Steven Seagal. Aber Idris entdeckte auch E.T. , Babe , Toy Story und Der Gigant aus dem All , Filme, die er zu Hause mit seinen Söhnen geschaut hat.
    Amra fragt Roshi auf Farsi, welchen Film sie sehen möchte. Roshi entscheidet sich für Der Gigant aus dem All .
    »Der gefällt dir bestimmt«, sagt Idris, dem es schwerfällt, das Mädchen anzuschauen. Sein Blick wandert immer wieder zu dem schimmernden Klumpen Gehirnflüssigkeit auf ihrem Kopf, den kreuz und quer verlaufenden Kapillargefäßen und Venen.
    An diesem Ende des Flurs gibt es keine Steckdose, und Amra braucht eine ganze Weile, um ein Verlängerungskabel zu finden, aber nachdem Idris die Geräte angeschlossen hat und der Film losgeht, dehnt sich Roshis Mund zu einem Lächeln. Idris ist schon fünfunddreißig, aber er erkennt in diesem Lächeln kaum etwas von seiner eigenen Lebenswelt wieder – er hat nie erlebt, wie grausam und barbarisch, wie grenzenlos brutal diese Welt sein kann.
    Als Amra sich entschuldigt, weil sie nach den anderen

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