Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
Vom Netzwerk:
Zahnbürste mehr benutzt. Der Anzug, den er trug, war an den Schultern und den Ärmeln fadenscheinig geworden. Das weiße Hemd darunter zeigte gelbliche Flecken. Vor ihm auf dem Schreibtisch stand ein Aschenbecher aus dem die Kippen quollen. Ungeachtet der dicken Rauchschwaden, die schon jetzt über dem Büro lagen, zündete sich der Beamte die nächste Zigarette an. Es war eine deutsche Marke, von der Abby noch nie gehört hatte, aber sie konnte die Schrift auf der Packung sehen.
    „Ich bin nicht zum Vergnügen hier.“
    „Ja“, meinte der Mann stoisch.
    „Wie lange dauert es noch?“
    Der Beamte zuckte gelassen die Schultern und widmete sich genussvoll seiner Zigarette.
    Patrick erhob sich plötzlich. Er griff in seine Hosentasche und zog eine Geldspange hervor. Die Augen des Beamten sprangen beim Anblick der vielen Dollars fast aus ihren Höhlen. Ferre zählte einige der grünen Scheine ab und legte sie vor dem Mann auf den Schreibtisch. Eine blitzschnelle Bewegung und das Geld war in einer Schublade verschwunden.
    „Was machen Sie da?“, fragte Abby leise, aber Patrick bedeutete ihr zu schweigen.
    Der Beamte hob erneut den Hörer ab. Obwohl Abby kein Wort verstand, klang seine Aufforderung diesmal wie ein Befehl. Keine fünf Minuten später wurde die Tür geöffnet. Eine zierliche Frau von unbestimmbarem Alter betrat zögerlich das Büro. Ihre dünn geflochtenen Rastalocken wippten, als sie eine dünne Mappe auf den Schreibtisch legte und wortlos wieder verschwand.
    Der Beamte nahm den Ordner und blätterte ihn auf. Sein Zeigefinger wanderte über die oberste Papierseite, verharrte dann aber an einer Stelle. Der Blick des Mannes richtete sich auf Patrick Ferre. Ein kurzer Schwall kreolischer Worte wurde ausgesprochen.
    Patrick antwortete ebenfalls in Kreolisch. Mehrfach hatte Abby das Gefühl, er fluche oder beschimpfe den Beamten. Aus dem unverständlichen Kauderwelsch hörte sie mehrfach das Wort ‚Boule’ heraus, dessen Bedeutung ihr jedoch schleierhaft blieb.
    „Boule?“, wiederholte der Beamte mehrfach ungläubig. Seine Augen fieberten durch Ferres Gesicht. Er schien sich unwohl zu fühlen. Als Abby sich Patrick zuwandte, konnte sie sehen, dass er den Mann hinter dem Schreibtisch fixierte. Jede Freundlichkeit war aus seinem Gesicht verschwunden. Harte Linien hatten sich um die Mundwinkel gebildet. Ferre sah zornig aus.
    „Was ist denn?“, flüsterte Abby erregt, aber Patrick antwortete ihr nicht, sondern starrte weiter seinen Gegner an.
    „Miss Summers“, räusperte sich der Beamte. „Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie den Leichnam Ihrer Schwester nicht ausführen können.“
    „Was?“, stieß Abby entsetzt hervor. „Wieso nicht?“
    „Nun...“ Der Mann wandte sich regelrecht auf seinem Stuhl. „Es gibt keinen Leichnam mehr. Die Leiche von Linda Summers wurde verbrannt.“
    Sämtliches Blut wich aus Abbys Gesicht. Ihre Lippen wurden taub, so als habe sie etwas Scharfes gegessen. In ihrem Inneren schien sich plötzlich ein Eisklumpen gebildet zu haben.
    „Ich bin viele tausend Meilen geflogen und habe mich in Unkosten gestürzt, die ich mir nicht leisten kann. Und Sie sagen mir...“
    „Der Gesundheitsminister hat in diesem speziellen Fall die Verbrennung der Leiche angeordnet. Dies geschah in Übereinstimmung mit unseren Landesgesetzen zur Eindämmung der Seuchengefahr. Ihre Schwester verstarb an einer unbekannten Krankheit, deren Ursache ungeklärt ist. Sie verstehen hoffentlich, dass es die vorrangige Aufgabe dieser Behörde ist, die Bürger Haitis und deren Gesundheit zu schützen.“
    „Nein, ich versteh nicht!“, keuchte Abby heiser. „Ich habe eine Sterbeurkunde und eine Benachrichtigung der britischen Botschaft über das Ableben meiner Schwester. Nirgends wird mit einem Wort erwähnt, dass ihr Leichnam verbrannt wurde. Ich habe von England aus ihre Behörde angerufen. Niemand, und ich betone niemand, hat mir erklärt, die Leiche sei bereits eingeäschert worden.“
    „Ein bedauerliches Versehen...“
    Abby ließ ihn nicht ausreden. „Was ist mit den Überresten meiner Schwester geschehen?“
    „Überresten?“, wiederholte der Beamte. „Die Leiche wurde...“
    „Die Asche? Was ist mit ihrer Asche?“
    Der Blick des Mannes wanderte zu Ferre, der einen kurzen Satz auf Kreolisch ausstieß.
    „Ich nehme an, die Asche wurde in einer Urne beigesetzt“, stammelte der Beamte.
    „Sie wissen es nicht?“, fragte Abby angestrengt. Ihr Asthma war kurz vor dem

Weitere Kostenlose Bücher