Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
Vom Netzwerk:
Sie interessiert.“
    Abby schoss die Röte ins Gesicht. Verdammt, wie hatte sie sich bloß so gehen lassen können. Der Tod ihrer Schwester, die Schmerzen in ihrem Fuß und das Chaos, das in diesem Krankenhaus herrschte, hatten sie dazu verleitet, voreilige Schlüsse zu ziehen. Dieser junge Arzt sah nicht so aus, als würde ihn sein Beruf reich oder auch nur wohlhabend machen. Wahrscheinlich verdiente sie selbst in einem Monat mehr als Mitchard im ganzen Jahr.
    „Es...“
    „Vergessen Sie es. Ich verstehe, wie Sie sich fühlen müssen. Sie kommen aus einer anderen Welt. Haiti muss auf Sie wie ein lebendig gewordener Albtraum wirken. Aber glauben Sie mir, es gibt hier auch viel Schönheit und Wunderbares.“
    Das konnte sich Abby nun wirklich nicht vorstellen. Die Taxifahrt hierher und die Zustände in diesem Krankenhaus ließen sie inzwischen glauben, dass es sehr wohl eine Hölle auf Erden gab.
    „Kann ich Dr. Muncine sprechen?“
    „Nein, tut mir leid. Dr. Muncine versorgt mit einer mobilen Krankenstation die nächsten zwei Wochen die Landbevölkerung im Norden.“ Mitchard verschwieg beschämt die Tatsache, dass die mobile Krankenstation aus einem alten, verbeulten Toyota Landcruiser und zwei Notfalltaschen mit Minimalausrüstung bestand.
    „Dann gibt es also keine Möglichkeit, mehr über den Tod meiner Schwester zu erfahren?“, hakte Abby nach.
    „Ich kann in den Computer sehen“, meinte Mitchard, aber es klang nicht so, als glaube er daran, Abby helfen zu können.
    „Tun Sie das bitte.“
    Mitchard rutschte vom Schreibtisch, ging um ihn herum und beugte sich über die Tastatur.
    „Möchten Sie Ihren Stuhl?“, fragte Abby.
    „Nein, danke. Es geht schon.“
    Abby konnte sehen, wie er die Maus bewegte. Offensichtlich blätterte er sich durch verschiedene Menüs. Sie nutzte die Zeit, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Die Aussicht war nicht gerade erbaulich. Direkt hinter dem Krankenhaus begannen die Slums von Port-au-Prince. Wellblechhütte reihte sich an Wellblechhütte. Es waren kaum Menschen zu sehen. Wahrscheinlich flüchtete alles vor der beginnenden Hitze des Tages in den Schatten. Selbst die unvermeidlichen Schweine suhlten sich nicht auf der Strasse. Abby sah lediglich eine einsame Ziege, die angepflockt an einem dürren Strauch zupfte.
    „Das ist komisch“, sagte Mitchard.
    „Was?“, zuckte Abby zusammen.
    „Ihre Schwester wird nicht in den Krankenhausunterlagen geführt.“
    „Bei diesem Chaos hier, überrascht mich das nicht“, seufzte Abby. „Die Patientendaten sind also auch nicht auf dem neuesten Stand, aber...“
    Mitchard wirkte verwirrt. „Nein, ich meine, Ihre Schwester wurde laut unseren Daten nie hier aufgenommen. Ich habe in der Einlieferungsdatei nachgesehen, aber keine Notiz gefunden. Gar nichts. Nicht einmal Angaben wie Name, Geschlecht, Alter sind vermerkt. Laut diesen Daten wurde Linda Summers hier nie behandelt.“
    „Vielleicht hat jemand vergessen, die Daten einzugeben?“
    Der Arzt schüttelte den Kopf. „Kann ich mir nicht vorstellen. Wenigstens das Aufnahmeformular sollte ausgefüllt und eingegeben sein. Sehen Sie, für Haitianer ist die Behandlung kostenlos. Ausländische Besucher erhalten eine Rechnung. Ich denke nicht, dass jemand aus der Verwaltung diesen wichtigen Umstand übersehen hätte. Das Krankenhaus braucht jeden Dollar.“
    „Sie sagten ‚Aufnahmeformular’. Es gibt also möglicherweise ein Schriftstück.“
    „Sollte es geben“, meinte Mitchard frustriert.
    „Wo befinden sich die Unterlagen über die Patienteneingänge?“
    Der Arzt lächelte bitter. „Hier in diesem Büro oder einem anderen. Draußen auf dem Gang in einem der vielen Regale oder im Keller. Wer weiß das schon.“
    „Gibt es die Möglichkeit, dass jemand nachsieht.“ Abby wurde im gleichen Moment bewusst, was sie da verlangte. „Ich bezahle, was es kostet. Ich bin weit gereist und ich möchte nicht zurückfliegen, ohne die genauen Umstände zu kennen, unter denen meine Schwester verstorben ist.“
    „Sie müssen dafür nicht bezahlen. Ich werde sehen, ob ich die Patientenakte Ihrer Schwester finde, aber es kann eine Weile dauern. Zuerst muss ich meinen Dienst beenden. Wo kann ich Sie erreichen?“
    „Ich wohne im Hotel Ollofson. Kennen Sie es?“
    „Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Port-au-Prince kennt dieses Hotel. Es ist berühmt und erzählt von einer besseren Zeit. Einer Zeit von der wir alle hoffen, sie möge bald wiederkommen.“
    „Dann werde

Weitere Kostenlose Bücher