Traumschlange (German Edition)
ich von Ihnen hören?“
„Sobald es mir möglich ist.“
Abby erhob sich. Sie ging zu Mitchard und reichte ihm die Hand.
„Vielen Dank.“
„Danken Sie mir erst, wenn ich etwas gefunden habe.“
Als Abby das Krankenhaus verließ, traf sie auf Patrick Ferre, der an einen schwarzen Mercedes gelehnt, auf sie wartete. Diesmal trug er helle Jeans und ein weißes Hemd, das an der Brust offen stand. Seine Augen waren von einer dunklen Sonnenbrille verdeckt, die aber sofort abnahm, als Abby auf ihn zuging.
„Hallo“, meinte Ferre und lächelte charmant.
„Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen.“
„Kein Zufall, ich gebe es zu. Ich war in Ihrem Hotel und wollte Sie zu einem Ausflug abholen. Der Portierjunge hat mir gesagt, wo ich Sie finden kann.“
„Danke auch für die wundervollen Blumen, die Sie mir geschickt haben.“
Er grinste schelmisch. „Ein Bestechungsversuch, damit ich Sie wiedersehen darf.“
„Nun, da bin ich.“
„Dann haben Sie Lust, ein wenig mit mir aufs Land zu fahren?“
Abbys gute Laune verflog schlagartig, als er einfiel, dass sie noch die Ausfuhr des Leichnams ihrer Schwester in die Wege leiten musste.
„Ich würde gern“, erklärte sie. „Wirklich gern. Aber ich muss zum Gesundheitsministerium.“
„Sind Sie krank? Haben Sie das gestrige Essen nicht vertragen?“
Abby gönnte sich ein kurzes Lachen, als sie begriff, welche Schlüsse Ferre aus ihrem Besuch im Krankenhaus und ihrem jetzigen Vorhaben ziehen musste.
„Nein. Ich habe Ihnen doch vom Tod meiner Schwester und dem Grund meines Aufenthaltes in Haiti erzählt. Es gibt noch Formalitäten zu erledigen.“
Ferres Gesicht nahm einen trübsinnigen Ausdruck an. „Entschuldigung. Ich hatte es nicht vergessen, aber für einen Moment verdrängt. Natürlich begleite ich Sie, wenn Sie es möchten.“
„Das müssen Sie nicht, Patrick.“
„Ich könnte Ihnen eine Hilfe sein. Die Beamten auf Haiti können ziemlich stur werden. Ich kenne die hiesige Mentalität und weiß, wie man mit diesen Leuten umgehen muss.“ In seinen Augen blitzte wieder die gute Laune auf. „Außerdem dürfte es hilfreich sein, jemanden dabei zu haben, der Kreolisch und Französisch spricht.“
Sicherlich hatte Patrick Ferre Recht. Abby zögerte nur kurz. Ihr Fuß schmerzte noch immer. Ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen und die Hitze inzwischen mörderisch. Selbst nach nur wenigen Augenblicken in der Sonne, konnte Abby bereits spüren, wie ihre Haut auf den nackten Armen und im Gesicht zu kribbeln begann.
„Vielen Dank, Patrick. Ich nehme Ihre Hilfe gern an.“
„Gut, dann los. Vielleicht dauert es ja nicht allzu lang, bis wir den dementsprechenden Beamten geweckt haben und uns bleibt noch genug Zeit, zu den „Heiligen Kaskaden“ von Saut d’Eau oder nach Cap Haïtien zu fahren.“
„Was sind das für Orte? Touristenattraktionen?“
„Die Wasserfälle von Saut d’Eau bei dem Dörfchen Ville-Bonheur sind ein magischer Ort. Man sagt, dass dort Mitte des 19. Jahrhunderts in der Nähe des Wasserfalls Saut d’Eau die Jungfrau Maria in einer Palmenkrone erschienen ist. Jedes Jahr vom 12. bis 16.Juli findet eine Wallfahrt nach Ville-Bonheur statt. Tausende Haitianer strömen dann zu den „Heiligen Kaskaden“. Die einen hoffen, die Jungfrau erscheine wieder und die anderen beten zu ihren Schutzgeistern, den ‚Loas’. So ist das auf Haiti. Wir glauben alle an irgendetwas.“
„Und Sie? An was glauben Sie?“
„Ich glaube, die „Heiligen Kaskaden“ von Ville-Bonheur sind von so einzigartiger Schönheit, dass Sie nicht abreisen dürfen, ohne sie gesehen zu haben.“
Abby konnte gar nicht anders. Sie musste lachen. „Gut, dann lassen Sie uns zum Gesundheitsministerium fahren. Wenn es nicht allzu lang dauert, können wir ja anschließend der heiligen Jungfrau noch einen Besuch abstatten.“
Jean Mitchard hatte seinen Dienst nicht wieder aufgenommen. Noch immer saß er in seinem Büro und grübelte darüber nach, warum Linda Summers Patientendaten nicht im Computer zu finden waren.
Als die junge Engländerin hier gewesen war, hatte er es nicht zugeben wollen, aber die ganze Angelegenheit war merkwürdig. Hier am Krankenhaus funktionierte nur wenig, doch es war noch nie vorgekommen, dass die Unterlagen eines Patienten nicht auffindbar waren. Besonders, da es sich hier um den Todesfall einer ausländischen Person handelte.
Mitchard hob den Hörer von seinem altmodischen schwarzen Telefonapparat und wählte
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