Traumschlange (German Edition)
Luft. „Sind Sie verrückt?“
„Ich möchte mir Gewissheit verschaffen.“
„Worüber möchten Sie sich Gewissheit verschaffen?“
Mitchards Augen ließen ihren Blick nicht los. „Vielleicht erfahren wir etwas Neues über den Tod Ihrer Schwester.“
„Das glaube ich Ihnen nicht. Was wollen Sie aus einem Häufchen Asche denn noch erfahren? Sagen Sie mir die Wahrheit!“
Mitchard fasste nach Abbys Arm, aber sie entzog sich ihm.
„Also gut“, seufzte er. „Ich möchte herausfinden, ob es sich bei der verbrannten Toten wirklich um Ihre Schwester handelt.“
12. Ein Häufchen Asche
Sie saßen in Mitchards Wagen und fuhren durch die engen Straßen von Port-au-Prince. Der Verkehr hatte das übliche Ausmaß an Chaos angenommen und sie kamen nur langsam voran. Tap-Taps zwängten sich hupend in jede schmale Lücke, die sich zwischen den Fahrzeugen auftat. Fußgänger strömten dazwischen und Mitchard musste oft anhalten, bevor es wieder ein paar Meter weiterging.
Der Renault hatte keine Klimaanlage und die Hitze drang durch die geöffneten Fensterscheiben herein. Die Scheiben hochzukurbeln kam nicht in Frage, wenn man nicht an den eindringenden Abgasen ersticken wollte. Abby wischte sich mit der Hand über die Stirn.
„Sie vermuten also, dass es sich bei der Toten nicht um meine Schwester handelt?“, fragte sie.
„Ich vermute gar nichts. Wie gesagt, ich möchte mir Gewissheit verschaffen.“
„Und Sie glauben, Sie können das aus der Asche erfahren?“
„Ja. Kein Körper verbrennt restlos. Es bleiben immer Knochenfragmente und Haare übrig.“
„Untersuchen Sie die Reste am Krankenhaus?“
„Nein, die dortigen Mikroskope wurden schon vor langer Zeit gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verkauft. Wir besuchen einen Freund.“
Um wen es sich bei dem Freund handelte, erklärte er nicht. Abby wusste noch immer nicht, was sie von Mitchards Vorhaben halten sollte. Anderseits wollte auch sie die Bestätigung haben, dass es sich bei der Toten um ihre Schwester handelte. Ihr leerer Magen zog sich bei dem Gedanken zusammen, es könnte anders sein.
Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Schließlich erreichten sie das Gesundheitsministerium und Mitchard lenkte den Wagen an den Straßenrand. Als er Anstalten machte auszusteigen, hielt Abby ihn auf.
„Ich gehe allein hinein.“
„Vielleicht brauchen Sie meine Hilfe“, widersprach der Arzt.
„Wenn Sie mich begleiten, fallen wir nur auf. Falls bei dem Tod meiner Schwester oder den folgenden Umständen irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, sollten wir keinen Verdacht erregen. Wenn mich plötzlich ein einheimischer Arzt begleitet, könnte jemand misstrauisch werden.“
„An wen denken Sie?“
„Wenn etwas wirklich nicht stimmt, ist das Gesundheitsamt darin verwickelt. Schließlich hat der dortige Beamte die Einäscherung angeordnet.“
Abby berichtete ihm von den Schwierigkeiten, die sie am gestrigen Tag auf dem Amt gehabt hatte. Sie erzählte Mitchard, dass Ferre den Beamten bestechen musste, damit sie überhaupt etwas erfuhr.
„Sie kennen Patrick Ferre?“, fragte Mitchard verblüfft.
„Ja“, antwortete Abby knapp. „Wieso? Kennen Sie ihn auch?“
Mitchards Gesicht nahm einen harten Ausdruck an. „Allerdings.“
„Klingt nicht, als würden Sie ihn mögen.“
„Bestimmt nicht.“
„Was hat er Ihnen getan?“
„Darüber möchte ich nicht sprechen. Es hat nichts mit Ihnen oder Ihrer Schwester zu tun.“
Abby wollte nachhaken, aber Mitchards verschlossene Miene, sagte ihr, dass es zwecklos war.
„Gut, dann ich gehe ich jetzt hinein“, erklärte sie.
„Ich kann hier nicht stehen bleiben.“ Seine Hand deutete auf eine Parkbucht auf der anderen Straßenseite. „Ich warte dort auf Sie.“
Als Abby zurückkam, war kaum eine Viertelstunde vergangen. Der ihr schon bekannte Beamte hatte sie in Empfang genommen und ihr die Urne samt einer amtlichen Berechtigung, sie auszuführen, übergeben.
„Nochmals mein Beileid“, hatte er gesagt.
Abby hatte sich höflich bedankt und war gegangen, bevor der Mann ein Gespräch mit ihr führen konnte.
Die Hitze im Inneren des Fahrzeugs hatte noch zugenommen. Es erschien Abby, als würde sie in einen dampfenden Kochtopf steigen.
„Hätten Sie nicht einen Parkplatz im Schatten wählen können?“, fragte sie ärgerlich.
Mitchards Hände vollführten eine ungehaltene Geste. „Sehen Sie hier vielleicht irgendwo Schatten?“
„Nein, entschuldigen Sie bitte. Die
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