Traumschlange (German Edition)
Leinenhose und eine schwarze Bluse. Ihr kurzes Haar band sie mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie verzichtete auf Makeup und Lippenstift, sondern trug nur etwas Wimperntusche auf.
Es klopfte an der Tür.
„Ja?“
Die Stimme des Pagen erklang. „Ein Brief für Sie, Madame.“
Abby öffnete die Tür. Der gleiche Junge, der ihr gestern das Frühstück serviert hatte, stand auf dem Flur. Seine rechte Hand streckte ihr einen schlichten Briefumschlag entgegen. Auf der Vorderseite stand ihr Name. Abby erkannte Patricks Schrift. Sie nahm den Brief und legte ihn auf die kleine Kommode neben der Tür.
„Danke. Ist mein Taxi schon da?“
„Nein, Madame. Soll ich Sie rufen, wenn es vorfährt?“
„Das ist nicht nötig. Ich komme gleich runter und warte in der Lobby.“
Der Junge nickte und wandte sich ab. Abby schloss die Tür. Sie stand vor der Kommode und betrachtete Patricks Brief. Sie ahnte, dass er versuchte, sich für das Geschehen im Tempel zu entschuldigen. Wahrscheinlich hatte er den Brief bereits letzte Nacht geschrieben und unten an der Rezeption abgegeben.
Abby konnte und wollte ihm nicht verzeihen. Sicher ein großer Teil der Schuld traf sie selbst. Sie hätte es nie so weit kommen dürfen lassen, aber es war gerade dieses eigene Schuldeingeständnis, dass es ihr unmöglich machte, ihm nochmals gegenüberzutreten. Abby zerriss den ungelesenen Brief und warf ihn in den Papierkorb.
Sie nahm ihre Handtasche von der Kommode und ging hinunter in die Lobby. Zu ihrer Überraschung wartete dort bereits Jean Mitchard auf sie. Er hatte mit Richard Morse geplaudert, aber nun drehte er sich um und ging auf sie zu.
„Guten Morgen, Miss Summers“, begrüßte er sie.
Abby erwiderte den Gruß, dann fragte sie, was ihn hier herführe.
„Sie haben mir gestern erzählt, dass Sie heute Morgen die sterblichen Überreste Ihrer Schwester abholen möchten. Ich würde Sie gern begleiten.“
„Hat sich etwas Neues ergeben? Ist die Akte meiner Schwester aufgetaucht?“
„Nein, leider nicht.“
„Warum sind Sie dann hier?“
„Nach all den Vorkommnissen um den Tod Ihrer Schwester ist es das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Vielleicht benötigen Sie meine Hilfe, um alle Formalitäten zu klären.“
„Danke, aber ich denke, ich komme zurecht“, erwiderte Abby.
Mitchard zögerte. Abby fühlte, dass Hilfsbereitschaft nicht der einzige Grund für sein Kommen war.
„Was ist los?“, fragte sie barsch.
Jean Mitchard drehte den Kopf und sah, wie Richard Morse sie beide beobachtete.
„Lassen Sie uns draußen weiter darüber sprechen“, bat er.
„Mein Taxi kommt jeden Moment“, erklärte Abby.
„Es dauert nur einen Augenblick und wenn Sie es möchten, kann ich Sie zum Gesundheitsamt fahren. Mein Wagen steht vor dem Eingang.“
Abby nickte zum Einverständnis und folgte Mitchard hinaus in die drückende Hitze des Morgens. Der Arzt hielt auf einen verbeulten, zehn Jahre alten Renault zu, von dem die rote Farbe abblätterte. Kurz vor dem Fahrzeug blieb er unschlüssig stehen und wandte sich wieder Abby zu.
„Wollen Sie mir nun bitte sagen, was eigentlich los ist?“, forderte Abby ihn ungehalten auf.
Mitchard trat von einem Fuß auf den anderen. „Ich habe letzte Nacht viel nachgedacht und je länger ich nachdachte, umso merkwürdiger erschienen mir die Vorkommnisse rund um den Tod Ihrer Schwester.“ Er zögerte. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie eines natürlichen Todes gestorben ist, aber der Gedanke an Ihre verschwundene Krankenakte beschäftigte mich. Immer wieder fragte ich mich, warum die Datei ihrer Schwester gelöscht wurde. Wer versucht da etwas zu verbergen?“
„Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?“, fragte Abby.
Mitchard ging auf ihre Frage nicht ein. „Dann ist da noch die zwangsweise angeordnete Einäscherung des Leichnams. Wie ich Ihnen schon sagte, finde ich diesen Umstand sehr merkwürdig. Die Begründung des Gesundheitsamtes erscheint mir äußerst unglaubwürdig.“
„Das alles bringt uns nicht weiter“, unterbrach ihn Abby. „Darüber haben wir gestern schon gesprochen. Also, wenn Sie mir nichts Neues zu berichten haben, verraten Sie mir bitte, warum Sie darauf beharren, mich zum Gesundheitsamt zu begleiten?“
Mitchard sah ihr direkt in die Augen. Ein seltsamer Ausdruck lag darin. Eine Entschlossenheit, die Abby zuvor nicht an ihm entdeckt hatte.
„Ich möchte die sterblichen Überreste Ihrer Schwester untersuchen!“
Abby schnappte nach
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