Traumschlange (German Edition)
Sammlung in den Keller verbannt.“
„Mama Koko ist Ihre Haushälterin?“
„Ja, Sie werden sie später noch kennen lernen. Ich verspreche Ihnen, dass wird ein Erlebnis.“
„Stört es Sie, wenn ich Ihnen Fragen stelle?“
„Keineswegs, so etwas nennt man Konversation und wir haben sowieso nichts anderes zu tun, bis Jean mit seiner Untersuchung fertig ist.“
„Woher kennen Sie Jean Mitchard?“
Eine Augebraue des Priesters zuckte nach oben, als versuche sie aus seinem Gesicht zu fliehen. „Hat er das Ihnen nicht gesagt?“
„Nein.“
„Ich habe viele Jahre das Waisenhaus von St-Marc geleitet. Jean ist ein Waise, er ist bei mir aufgewachsen. Später hat ihn meine Kirche in Cleveland das Medizinstudium in den USA finanziert. Er hätte nach seinem Abschluss dort bleiben können, aber er kam zurück nach Haiti, um hier zu arbeiten.“
„Was ist mit seinen Eltern geschehen? Starben Sie bei einem Unfall?“
Die Augen des Priesters blickten sie traurig an. „Darüber möchte ich nicht sprechen. Jean soll es Ihnen selbst erzählen. Sie wissen nicht viel über Haiti.“
„Nein, eigentlich nicht. Nur was man so in den Zeitungen liest und das ist wenig genug.“
„Sie haben Recht, die Welt hat uns vergessen.“ Er rückte mit dem Stuhl näher an Abby heran. „Lassen Sie mich Ihnen ein wenig von diesem Land und seiner Geschichte erzählen. Vielleicht verstehen Sie Haiti dann ein bisschen besser.“
Abby nippte an ihrer Limonade.
„Kolumbus hat Haiti im Jahr 1492 bei seiner Suche nach einem Seeweg nach Indien entdeckt. Er nannte die Insel Hispaniola, da sie ihn an seine spanische Heimat erinnerte. Bei den Einheimischen, den Taino und Arauak, hieß die Insel Haiti – Insel der Berge.
Anfang des 16. Jahrhunderts trafen die ersten spanischen Siedler ein. Auf der Suche nach Gold drangen sie ins Landesinnere vor. Und sie fanden Gold. Ein wahrer Goldrausch setzte ein. Tausende von Europäern zog es nach Haiti, zu der Insel, von der man sagte, sie könne jeden über Nacht reich machen und dass hier selbst der ärmste Bauer noch wie ein König lebe.
In den nächsten hundert Jahren wurde die Urbevölkerung Hispaniolas systematisch ausgerottet. Man zwang die Eingeboren unter sklavenähnlichen Bedingungen in den Minen der weißen Herren zu arbeiten, aber die Taino und Arauak eigneten sich nicht für den Frondienst. Sie starben wie die Fliegen. Ende des 17. Jahrhunderts waren von den ehemals eine Million zählenden Ureinwohnern nur noch sechzigtausend am Leben.
Die Gier der Fremden war nicht zu besänftigen. Kurzerhand suchten sie nach neuen Arbeitskräften und sie fanden sie an den dicht besiedelten Küsten Afrikas. ‚Schwarze Arbeitstiere’ von anderen Schwarzen und Arabern eingefangen und an weiße Menschenhändler verkauft wurden nach Haiti verschifft.
Die Spanier gingen die Verschleppung ganzer Völker noch langsam an, aber inzwischen hatten auch französische Glückssucher die Insel entdeckt und sich im Westen festgesetzt. Sie gründeten die ‚Compagnie des Indes’, mit dem erklärten Ziel, Unmengen von Sklaven nach Haiti zu importieren, um die wirtschaftliche Oberhand über die Insel zu gewinnen. Im Jahre 1697 trat Spanien das westliche Drittel, des heutige Haiti, an Frankreich ab. Nun begann der Sklavenhandel erst richtig.“
Abby lauschte gebannt der Stimme des Priesters. Maddox hatte eine engagierte Art zu reden, die sie die Geschichte Haiti fühlen ließ.
„Interessiert Sie das eigentlich?“, fragte er.
„Ja. Bitte erzählen Sie weiter“, forderte sie ihn auf.
„Das Leid der Sklaven war unvorstellbar. Schlecht ernährt und regelmäßig ausgepeitscht, eng zusammengepfercht, starben schon viele von ihnen während der Überfahrt. Die Überlebenden wurden einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen. Die weißen Herren hatten aus den Erfahrungen mit den Taino und den Arauak, die sich immer wieder gegen sie erhoben hatten, gelernt. Jeder Sklave erhielt einen neuen Namen. Die verschiedenen Stämme und Völker wurden so durcheinander gemischt, dass nur noch einander Fremde miteinander lebten und schufteten. Familien wurden getrennt, Traditionen und alte Rituale verboten. Sechzehn Stunden täglich mussten diese bedauernswerten Menschen in den Minen und auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten. Mangelernährt und für jedes kleine Verbrechen unmenschlich hart bestraft, lebte kaum einer von ihnen länger als zehn Jahre. Zwar hatten die Weißen in Massentaufen die Sklaven zu Christen gewandelt, das
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