Traumschlange (German Edition)
genährt und wohlhabend. Es waren fast nur Weiße und ein paar Mulatten unter den Gästen. Der Klang angeregter Unterhaltungen schwebte über die kleine Terrasse mit den engstehenden Tischen und den breiten Korbstühlen.
Jean hatte sich ein karibisches Currygericht bestellt. Abbys Entscheidung war auf gebackenes Huhn mit Reis gefallen. Beide aßen schweigend und sprachen erst wieder, als der Kellner den Kaffee servierte.
„Sie wollen das wirklich durchziehen?“, fragte Jean schließlich.
„Wenn ich darauf warte, bis die Behörden etwas unternehmen, werde ich wahnsinnig. Morgen geht mein Flug nach Hause. Ich will mir vorher Klarheit verschaffen. Wenn Lindas Leiche in diesem Grab liegt, kann Nichts und Niemand mehr verhindern, dass ich sie heimbringe.“
„Sie wissen, es ist kompletter Wahnsinn, was Sie da vorhaben? Was wollen Sie tun, wenn Sie tatsächlich den Leichnam Ihrer Schwester finden? Ihn in den Kofferraum eines Taxis legen und zur nächsten Polizeistation fahren? Man wird sie verhaften oder für verrückt erklären.“
„Sie helfen mir also nicht?“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Es klang aber so.“
„Ich wollte Ihnen nur klarmachen, wie irrsinnig Ihr Vorhaben ist.“
„Gut, ich habe es vernommen. Zurück zu meiner Frage. Werden Sie mir helfen?“
„Ja“, stöhnte Mitchard. „Ich helfe Ihnen.“
„Wie sollen wir vorgehen?“
„Die beste Zeit für ein derartiges Unternehmen dürfte nach Mitternacht sein, wenn nur noch wenig Menschen auf der Straße sind. Allerdings ist es auch eine gefährliche Zeit, denn nachts regiert der Abschaum die Straßen. Wir können von Glück reden, wenn wir es überhaupt zum Friedhof schaffen, ohne überfallen zu werden.“
Abby wusste nicht, ob Mitchard ihr Angst machen wollte, damit sie doch noch Abstand von ihrem Vorhaben nahm, aber es klang, als meine er es ernst.
„Ich habe meine Entscheidung getroffen“, sagte sie entschlossen.
Mitchard nippte an seinem Kaffee und sah sie über den Rand der Tasse hinweg an.
„Ich weiß, aber Ihnen soll klar sein, auf was wir uns da einlassen. Das wird kein nächtlicher Spaziergang.“
„Lassen sie uns bezahlen. Ich muss ins Hotel zurück und mich umziehen. In diesem Kleid kann ich wohl kaum nachts auf einem Friedhof graben. Außerdem müssen sie noch Hacke und Schaufeln besorgen. Wann sollen wir uns wieder treffen?“
„Ich hole Sie um zwölf vor dem Hotel ab. Warten Sie vor dem Eingang. Ich parke ein Stück die Straße hinunter, damit mich niemand sieht. Wenn ich Sie sehe, blende ich kurz die Scheinwerfer auf, damit Sie wissen, wo ich bin.“
„In Ordnung.“
„Das wird eine verdammt üble Nacht“, sagte Jean. Dann winkte er dem Kellner.
Ferre war Abby und Jean auch nach Pétonville gefolgt. Seine aufgekratzten Nerven beruhigten sich, als er sah, wie die beiden zu Abend aßen. Vielleicht machte er sich doch überflüssige Sorgen und Abby Summers war durch die Entdeckung des Grabes zufrieden gestellt.
Er stand im Schatten eines Hauseinganges, außerhalb des Lichtkegels einer Straßenlaterne. Hier in Pétonville funktionierte die Straßenbeleuchtung noch, ein Umstand, der im Augenblick von Nachteil war, denn so war er gezwungen gewesen, wie eine Katze durch die Schatten zu schleichen, um diesen Beobachtungsposten zu erreichen.
Die beiden schienen keine Eile zu haben. Sie speisten gemütlich und unterhielten sich angeregt. Als sie schließlich das Restaurant verließen, war die Nacht schon weit fortgeschritten.
Patrick Ferre hetzte zu seinem Mercedes zurück. Vor ihm flackerten die Bremslichter von Mitchards Renault auf, als dieser den Motor startete.
Die Fahrt ging nicht weit, denn das Oloffson lag nur wenige Querstraßen entfernt. Ferre beobachtete zufrieden, wie Abby die Lobby betrat und sich ihren Zimmerschlüssel aushändigen ließ. Ebenso befriedigt, stellte er fest, dass Mitchard den Wagen nicht parkte, sondern vor dem Hotel wendete und die Straße zurück fuhr, die er gekommen war.
Patrick richtete sich aus dem Sitz auf, nachdem der Renault an ihm vorbei gebraust war und wendete ebenfalls. Weiter vor dem Hotel zu warten, machte keinen Sinn. Abby Summers ging offensichtlich zu Bett. Vielleicht packte sie sogar im Augenblick ihren Koffer. Morgen würde sie Haiti für immer den Rücken kehren. Obwohl dieser Gedanke Patrick einen Stich versetzte, war er auch erleichtert.
Abby Summers würde am Leben bleiben.
17. Zombi Cadavre’
Abby durchschritt die Hotelhalle. Sie
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